Laden Sie als Gemeinde einen unserer Referenten ein und hören Sie bewegende Berichte und informative Vorträge über verfolgte Christen.
Blickpunkt



Hunderttausende Menschen kommen in Indien zum Glauben an Jesus. Mit der Anzahl der Christen wächst auch die Verfolgung: Sie werden gesellschaftlich ausgegrenzt, beschimpft, verleumdet, benachteiligt, körperlich angegriffen und manche sogar getötet.
Weil die Regierung nun ein neues Identifikationssystem einführen will, das mit biometrischer Gesichtserkennung arbeitet, haben wir uns dazu entschieden, in unseren Veröffentlichungen keine Gesichter von indischen Christen mehr zu zeigen. Zu groß ist die Gefahr, dass das System dazu genutzt wird, ganze Bevölkerungsgruppen auszugrenzen.
Hintergründe der Christenverfolgung in Indien
Indien ist flächenmäßig das siebtgrößte Land der Welt und knapp vor China das Land mit den meisten Einwohnern. Es weist eine enorme Vielfalt auf in Bezug auf die Völker, die es bewohnen, auf ihre Sprachen, Kulturen und Religionen. Doch seit 2014 wird das Land von einer hindu-nationalistischen Partei regiert, die Indien unter einer Religion und Kultur vereinigen möchte: dem Hinduismus.

Entstehung & Geschichte der indischen Gemeinde
Der christliche Glaube hat in Indien eine lange Geschichte. Der Tradition nach soll der Apostel Thomas im 1. Jahrhundert n. Chr. nach Indien gekommen sein und dort erste Gemeinden gegründet haben. In den folgenden Jahrhunderten wirkten weitere Missionare verschiedener Nationalität und Konfession in Indien. So entstand dort eine Vielzahl an christlichen Konfessionen: zum Beispiel syrisch-orthodoxe, römisch-katholische und verschiedene protestantische Gemeinden wie Lutheraner und Baptisten. Einige Kirchen, die schon sehr lange in Indien verwurzelt sind, haben erheblichen Landbesitz und betreiben darauf christliche Schulen und Krankenhäuser. Aufgrund ihrer sozialen Ausrichtung und ihres hohen Qualitätsstandards hatten diese in der Vergangenheit großes Ansehen in der indischen Bevölkerung. Seit der Machtübernahme der BJP versuchen Hindu-Nationalisten, diese christlichen Institutionen zu verdrängen und Misstrauen gegen sie zu schüren; immer wieder kommt es auch zu Angriffen auf sie.
Lauffeuer Evangelium
Ab dem 19. Jahrhundert gab es mehrere große Bekehrungswellen unter den Dalits und der indischen Stammesbevölkerung (Adivasi), von denen viele Menschen Jesus annahmen. Diese Bewegung wurde zum Teil von ausländischen Missionaren getragen, aber ging auch von der indischen Bevölkerung selbst aus. Die neu zum Glauben gekommenen Christen erzählten ihren Mitmenschen begeistert von Jesus, sodass sich das Evangelium rasch ausbreitete. In den nordöstlichen Bundesstaaten nahmen teilweise ganze Stammesgemeinschaften den christlichen Glauben an, sodass Christen in den Staaten Meghalaya (75 %), Nagaland (88 %) und Mizoram (87 %) heute sogar die Bevölkerungsmehrheit bilden. Die in diesen Bekehrungswellen entstandenen christlichen Gemeinschaften geraten seit Erstarken des Hindu-Nationalismus stark unter Druck. In jüngster Zeit gab es wiederholt pogromartige Ausschreitungen gegen sie. Darüber hinaus werden groß angelegte Rückbekehrungskampagnen durchgeführt, um sie zurück zum Hinduismus zu bringen.
Manipur, seit Mai 2023:
Ethnisch und religiös begründete Ausschreitungen gegen Christen – innerhalb
der ersten drei Monate wurden etwa 50.000 Christen vertrieben und 124 getötet, 400 Kirchen und 4.500 Häuser von Christen wurden niedergebrannt.
Chhattisgarh, Dez. 2022/Jan. 2023:
Organisierte bewaffnete Angriffe auf Adivasi-Christen in 15 Dörfern – mehr als 1.000 Christen wurden vertrieben, ihre Besitztümer beschlagnahmt oder zerstört.
Odisha, Aug. 2008:
Beginn wochenlanger Ausschreitungen gegen Christen – mehr als 600 Dörfer wurden geplündert und dabei 5.600 Häuser sowie 232 Kirchen zerstört, 54.000 Christen mussten fliehen, mindestens 39
wurden getötet.
Der Grund für Verfolgung
Doch die Gewalt kann die Ausbreitung des Evangeliums nicht stoppen. Weiterhin finden Inder – vor allem aus den untersten Gesellschaftsschichten – zum Glauben an Jesus Christus. Einheimische Evangelisten verbreiten die Frohe Botschaft hingebungsvoll und unter großen persönlichen Risiken im ganzen Land. Dass so viele Inder Christen werden, ist Hindu-Nationalisten ein Dorn im Auge. Sie gehen sehr gewaltsam gegen neu zum Glauben gekommene Christen und evangelistisch aktive Gemeinden vor. Die Zunahme der Christenverfolgung kann deshalb auch als „natürliche“ Reaktion auf das Gemeindewachstum in den letzten Jahren gesehen werden. „Jedes Mal, wenn eine Person sich entscheidet, Jesus nachzufolgen, gibt es auch Widerstand“, erklärt Sebulon*, ein Partner von Open Doors. „Es ist unmöglich, alle Übergriffe zu erfassen, weil so viele Menschen Christus annehmen.“ Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass pogromartige Ausschreitungen zunehmen werden: „Wir Christen müssen sehr stark sein, denn in den kommenden Zeiten werden wir [in ganz Indien] nicht nur von ein oder zwei Menschen angegriffen werden, sondern es wird eine Menschenmenge sein, die kommt, um uns zu zermalmen“, prognostiziert Rajesh Singh*, ein weiterer Partner von Open Doors. „Wir müssen fest im Glauben stehen und uns in jeder Situation auf Gott verlassen.“ Beten wir für unsere indischen Glaubensgeschwister in dieser Situation um Kraft und Schutz. Beten wir auch, dass die Christen nicht durch Angst gelähmt und in ihrem Glauben erschüttert werden. Und danken wir Jesus, dass immer mehr Menschen in Indien ihn kennenlernen!
Entwicklung in den letzten 10 Jahren
Die Hindu-Nationalisten stellen den christlichen Glauben als bedrohlichen, ausländischen Einfluss dar. Es ist ihnen ein Dorn im Auge, dass in den letzten Jahren viele Hindus zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Sie behaupten, Christen würden Hindus mit Zwang und Geldgeschenken zur Annahme des christlichen Glaubens bewegen. Mit dem Slogan „Ghar Wapsi“ („Heimkehr“) führen Hindu-Nationalisten große Kampagnen durch, um Christen „zurück zum Hinduismus“ zu bringen – auch mit Druck und Gewalt. Sie säen Hass auf Christen und andere Minderheiten, und diese Saat geht auf: Seit die hindu-nationalistische Partei BJP die indische Regierung stellt, hat die Verfolgung von Christen in Indien dramatisch zugenommen (siehe Diagramm). Christen werden immer mehr als Fremde und Feinde betrachtet und körperlich angegriffen, trotz der langen Geschichte, die der christliche Glaube in Indien hat. Und heute machen Christen immerhin knapp 5 % der Gesamtbevölkerung aus – etwa 70 Millionen Menschen!
Doch auch wenn Christen aus Sicht vieler Hindus keinen Platz in Indien haben, aus ihren Heimatdörfern vertrieben und auf Erden zu Heimatlosen werden, haben sie doch Bürgerrecht im Himmel (Philipper 3,20) und eine himmlische Heimat (Hebräer 13,14). Es ist wichtig, dass wir als ihre neue Familie in Christus an der Seite unserer indischen Glaubensgeschwister stehen. „Ich möchte allen danken, die für uns beten“, sagt Aarav Kapur*, ein indischer Christ und Partner von Open Doors. „Immer wieder bezeugen Menschen: Ich wurde schwer verprügelt, aber ich bin immer noch standhaft im Glauben. Das kommt nur daher, weil ihr für uns betet. Nur deshalb haben wir in dieser Situation Kraft.“

Im Jahr 2014 hat die BJP unter Premierminister Narendra Modi die Regierung übernommen. In den ersten Jahren danach hat sich die Verfolgungssituation drastisch verschlechtert. Seit einigen Jahren hat die Christenverfolgung in Indien nun ein extremes Ausmaß erreicht.
*Name geändert
Hindu-Nationalismus: Entstehung & Ideologie
Während der Kolonialzeit gab es innerhalb der indischen Unabhängigkeitsbewegung zwei gegensätzliche Strömungen. Mahatma Gandhi und sein Mitstreiter Jawaharlal Nehru (der erste Ministerpräsident Indiens) traten für einen säkularen Staat ein, in dem alle Religionen gleichberechtigt waren und demokratische Institutionen die religiösen Minderheiten schützten. Dagegen forderten Politiker wie V. D. Savarkar, Indien müsse eine Hindu-Nation sein. Nur so könne es nationale Stabilität, Einheit und Größe geben. Savarkar begründete 1923 die „Hindutva“ genannte Ideologie, welche Indisch-Sein mit Hindu-Sein gleichsetzt. Seine Gedanken wurden in den folgenden Jahren von anderen Hindu-Ideologen weiterentwickelt, trugen zur Gründung der hindu-extremistischen Organisation RSS bei und bilden die Grundlage des heutigen Hindu-Nationalismus.
RSS: Rashtriya Swayamsevak Sangh (dt. „Nationaler Freiwilligenbund“)
Der RSS wurde 1925 gegründet, mit dem Ziel, eine Hindu-Nation zu schaffen. Savarkar und andere Hindu-Ideologen, die den RSS in seinen ersten Jahren geprägt haben, waren teilweise vom italienischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus inspiriert. Der RSS ist in militärisch anmutende Untergruppen organisiert, deren Mitglieder körperlich und ideologisch gedrillt werden. Er stellt das ideologische Rückgrat des Hindu-Nationalismus dar und ist Mutterorganisation für viele weitere hindunationalistische Verbände, darunter auch die BJP. Während die BJP den Hindu-Nationalismus seit 2014 politisch legitimiert, machen der RSS und weitere militante Ableger „die Arbeit auf der Straße“ – sie organisieren Angriffe auf religiöse Minderheiten, hetzen Menschenmengen auf und mobilisieren Wahlkampfunterstützung für die BJP. Darüber hinaus ist der RSS eine wichtige Kaderschmiede für die BJP geworden: Viele hochrangige BJP-Politiker, darunter auch Premierminister Narendra Modi, haben eine RSS-Vergangenheit.
Wer zählt als Hindu?
Savarkar begründet seine Forderung nach einer Hindu-Nation mit dem Rückgriff auf eine konstruierte und idealisierte gemeinsame Vergangenheit aller Hindus. Er geht von drei Gemeinsamkeiten aus, auf die sich alle Hindus berufen könnten und die die Grundlage für eine erfolgreiche Nation bilden würden: die gemeinsame geografische Zugehörigkeit und Abstammung von einer uralten, ersten Hindu-Zivilisation; die gemeinsame Kultur und der gemeinsame heilige Boden. Derjenige ist ein Hindu, fasst Savarkar zusammen, für den Indien nicht nur Vaterland, sondern auch heiliges Land ist. In diesem Sinne zählt Savarkar auch Anhänger anderer in Indien entstandener Religionen wie dem Jainismus und Sikhismus zu den „Hindus“. Anders ist es mit den christlichen und muslimischen Minderheiten Indiens. Diese gefährden für Savarkar die nationale Stabilität. Indien sei zwar ihr Vaterland, ihre wahre Loyalität würde jedoch ihrem heiligen Land – also dem Ausland – gelten.
Auf einen Blick: Das glauben Hindu-Nationalisten
Hindu-Nationalisten propagieren, dass Hindus anderen Menschen überlegen sind. Deshalb wollen sie eine reine Hindu-Nation errichten. Diese hat laut ihnen eine glorreiche Zukunft vor sich – bis hin zur Beherrschung der Welt. Die christlichen und muslimischen Minderheiten in Indien sind den Hindus unterlegen. Außerdem gefährden sie die nationale Stabilität, da ihre Loyalität nicht Indien gilt, sondern ihrem jeweiligen heiligen Land, also dem Ausland. Demnach stehen sie der glorreichen Zukunft der Hindu-Nation Indien im Weg. Damit nicht genug: Christen und Muslime versuchen auch, Hindus zu bekehren, um dadurch die Herrschaft über Indien und letztlich auch die ganze Welt zu übernehmen. Das ist es, was Hindu-Nationalisten glauben.
Keine Bürgerrechte für Nicht-Hindus
Diese Einordnung von Nicht-Hindus als „nationale Gefahr“ wurde von Savarkars ideologischen Nachfolgern gefährlich zugespitzt. Ein Beispiel ist die 1939 veröffentlichte Schrift „We or Our Nationhood Defined“. Als deren Autor gilt R. S. Golwalkar, Mitglied des RSS und später auch dessen Führer. Golwalkar beruft sich in seinen Ausführungen unter anderem auf das nationalsozialistische Deutschland. „Deutschland hat gezeigt, wie unmöglich es ist, dass Rassen und Kulturen mit tief verwurzelten Differenzen zu einer Einheit zusammengefasst werden können“, schreibt er. „Eine gute Lektion, von der wir in Hindustan lernen und profitieren können.“ Folglich formuliert Golwalkar für die indischen Christen und Muslime eine klare Wahl: Entweder sie werden Hindus oder sie verlieren ihre Bürgerrechte und müssen als unterworfene und rechtlose Menschen in Indien leben.

Aufstieg der Hindu-Nationalisten
Mit der Unabhängigkeit Indiens 1947 setzte sich zunächst die Strategie Gandhis und Nehrus durch. Indien wurde ein säkularer und demokratischer Staat. Doch der Hindu-Nationalismus erfuhr in den 1990er-Jahren einen Aufschwung. Seit 2014 wird Indien von der hindu-nationalistischen Partei BJP regiert, einer Partei, die aus dem RSS hervorgegangen ist. Seither hat sich die Situation für Christen in Indien dramatisch verschlechtert. „Die Hindutva-Ideologie hat sich über ganz Indien ausgebreitet und verbreitet Hass unter den Menschen“, sagt Rajesh Singh*, ein indischer Christ und Partner von Open Doors.
BJP: Bharatiya Janata Party (dt. „Indische Volkspartei“)
Die BJP ist eine aus dem RSS hervorgegangene hindu-nationalistische Partei. Seit ihrem Wahlsieg bei der
indischen Parlamentswahl 2014 gibt sie der Verfolgung der christlichen und muslimischen Minderheit in Indien die politische Legitimation. Anti-Bekehrungs-Gesetze werden eingeführt und öffentliche Ämter mit Hindu-Nationalisten besetzt, sodass die Behörden Angriffe auf Christen und Muslime zunehmend nicht ahnden. Außerdem verbreiten BJP-Politiker und andere Hindu-Nationalisten gezielt Falschinformationen (z. B. dass Christen und Muslime Hindus zwangsbekehren oder Kühe schlachten würden). Sie nutzen dabei unter anderem die sozialen Medien, um die öffentliche Meinung zu manipulieren und die Angst und den Hass der Menschen zu schüren.
Warum so viel Anklang?
Savarkar, Golwalkar und weitere Hindu-Ideologen haben ein Narrativ geschaffen, das im Kern die Überlegenheit von Hindus propagiert. Sie entwarfen ein mythologisch verklärtes Bild einer uralten, glorreichen Hindu-Zivilisation. Diese sei schon immer in Indien beheimatet gewesen, habe dort glückselig und harmonisch zusammengelebt, weltbewegende Errungenschaften hervorgebracht und sich zur nobelsten Zivilisation und Kultur entwickelt, bis Fremdherrscher wie Muslime, Mogulkaiser und zuletzt britische Kolonialherren diese Idylle zerstört hätten. Ziel der Hindu-Nationalisten ist es, an diese angenommene glorreiche Vergangenheit anzuknüpfen und erneut eine reine Hindu-Nation in Indien zu errichten. Als solche habe Indien die Möglichkeit, alle anderen Staaten zu übertreffen und eine Vormachtstellung in der Welt zu übernehmen. Dieses Narrativ findet Anklang in der Bevölkerung. Politikern und Hardlinern ermöglicht es, Unmut der Menschen über soziale Missstände umzumünzen in Hass auf religiöse Minderheiten, die als Sündenböcke dargestellt werden. Außerdem wird die Angst der Menschen geschürt: Viele Hindus glauben nun, dass Ausländer aus dem Westen nach Indien kommen, Geld anbieten und Hindus zur Bekehrung zum Christentum verführen, erklärt uns der indische Pastor Kuldeep*: „Es ist eine Taktik [des Westens], die Welt zu beherrschen, denken sie.“ Christen (und Muslime) gelten immer mehr als „fremde“, „gefährliche“ und „minderwertige“ Menschen, gegen die gewaltsam vorgegangen werden kann und muss. Besonders leicht zu Angriffen mobilisieren lassen sich höherkastige junge Männer, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind und ein Ventil für ihre Unzufriedenheit und Wut suchen. Wenn sie gewaltsame Angriffe auf Christen oder Muslime verüben, gelten sie als „heroische Verteidiger“ des Hinduismus und der Hindu-Nation, sie erregen die positive Aufmerksamkeit von Hindutva-Gruppen und qualifizieren sich möglicherweise sogar für eine Karriere im RSS oder in der Politik.

Die Lügen zerbrechen
Die Bibel bezeichnet den Satan als „Vater der Lüge“ (Johannes 8,44). Letztlich steht er hinter der Hindutva-Ideologie, die Menschen mit Lügen und Hass gegen Christen erfüllt und sie davon abhält, Jesus als ihren Retter anzunehmen. Es ist wichtig, dass wir dagegen im Gebet einstehen. Beten wir, dass die Menschen in Indien die Hetze gegen Christen durchschauen und die Wahrheit über Jesus erkennen.
*Name geändert
Gesellschaftliches Leben: Hinduismus & Kastenwesen
Den einen Hinduismus gibt es eigentlich gar nicht. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was man allgemeingültig über „den Hinduismus“ sagen kann. Eigentlich handelt es sich dabei nämlich um einen Überbegriff für verschiedene religiöse Strömungen (oder sogar Einzelreligionen), die nebeneinander existieren und sich teilweise auch überlappen und vermischen. Es verbindet sie im weitesten Sinn der Glaube an „Dharma“. Das meint die Gesetzmäßigkeit der Dinge, nach der ein Mensch in die bestehende gesellschaftliche Ordnung und religiöse Traditionen hineingeboren wird und dementsprechende Pflichten zu erfüllen hat. Die religiöse Praxis um den Dharma-Glauben herum kann unterschiedlich sein.
Große Pluralität
Weil es keine einheitliche verbindliche Lehre gibt, konnte und kann prinzipiell fast jeder religiöse Brauch im Hinduismus Aufnahme finden. Historisch hat sich, stark vereinfacht gesagt, der Dharma-Glaube mit den bereits auf dem indischen Subkontinent bestehenden religiösen Kulten vermischt. Lokale magische Praktiken und schamanische Bräuche blieben erhalten und wurden weiterentwickelt. Es existieren unzählige Götter und Lokalgottheiten, die verehrt werden können. Schon die klassischen Texte sprechen von 333 Millionen Göttern. So gibt es polytheistische Strömungen im Hinduismus, aber auch eher monotheistische Strömungen wie den Vishnuismus oder Shivaismus. Ein Hindu kann aber auch Atheist sein. Einem Hindu kann auch potenziell alles heilig sein: Kühe, Flüsse, Bäume etc. Eines jedoch stößt auf Widerstand: wenn ein Mensch ganz Jesus nachfolgt und nur ihn verehrt als den einzigen Weg zu Gott. Das bedroht die Pluralität des Hinduismus und führt zu Verfolgung. Einige hinduistische Praktiken wie Meditation oder Yoga werden von vielen Menschen im Westen als harmonischer und gesunder Lifestyle verklärt. Dabei darf man nicht vergessen, dass sie einen spirituellen Ursprung haben. Anderes befremdet uns auf den ersten Blick – beispielsweise die Verehrung der blutdürstigen Göttin Tara, als deren Wohnort ein Krematorium gilt und deren Anhänger magische Rituale praktizieren. Doch egal ob offensichtlich okkult oder vermeintlich nur ein Lifestyle – die Geschichte von Bagre zeigt, welche Mächte hinter dem Hinduismus und seinen Praktiken stehen.
Die indische Gesellschaft ist tief vom Kastenwesen geprägt. Stark vereinfacht gesagt, werden Menschen nach diesem System in Klassen eingeteilt, die sich hinsichtlich ihrer Hierarchie und rituellen Reinheit unterscheiden. Die Kaste bestimmt, welchen Beruf Menschen ausüben, wen sie heiraten, mit wem und was sie essen dürfen. Ganz unten in der Hierarchie stehen die als „unberührbar“ geltenden Dalits. Sie müssen „unreine“ Berufe wie Lederarbeiter, Wäscher, Müllbeseitiger oder Latrinenreiniger ausüben. Eine Berührung von ihnen kann einen höherkastigen Hindu verunreinigen, wobei Unreinheit auch durch den Schatten eines Dalits, Blickkontakt oder die Begrüßung übertragen werden kann. Dalits zu schlagen, zu vergewaltigen oder sogar zu ermorden, ist paradoxerweise jedoch kein Problem. Dalits gelten als Abschaum, als wertlos.
Woher kommt das Kastenwesen?
Es gibt verschiedene Theorien zur Entstehung des Kastenwesens; sein genauer Ursprung ist nicht gesichert. Teilweise lässt es sich mit hinduistischen (vor allem brahmanischen) Lehren begründen. Laut einer hinduistischen Schöpfungserzählung wurden aus den unterschiedlichen Körperteilen des Menschen verschiedene Klassen von Menschen geschaffen – von den Priestern (Brahmanen) aus dem Kopf bis hin zu den Dienern (Shudras) aus der Fußsohle. Dalits kommen in dieser Erzählung nicht vor und stehen in der Hierarchie deshalb noch unter den Shudras. Hinzu kommt das Prinzip des „Dharma“. Im Hinduismus sind damit rituelle und gesellschaftliche Ge- und Verbote und Pflichten gemeint. Einige davon sind kastengebunden. So besteht das Dharma (die Pflicht) des Shudra im Dienen. Das Erfüllen des Dharma führt zu gutem Karma und dadurch zur Wiedergeburt in einer höheren Kaste. Die Denkweise, dass das Karma eines Menschen darüber bestimmt, in welcher Kaste er wiedergeboren wird, bedeutet im Umkehrschluss auch, dass Menschen aus niedrigen Kasten selbst für ihre Lebenssituation verantwortlich sind. Nur wenn sie ihr Leid und ihre Not geduldig ertragen, können sie gutes Karma erlangen. Nicht jeder Hindu vertritt diese Sichtweise, aber sie begünstigt Kastendiskriminierung.
Kastenwesen abgeschafft?
Der indischen Verfassung nach sind Kastendiskriminierung und Unberührbarkeit verboten und sogar strafbar. Aufgrund der Quotenregelung hat sich die wirtschaftliche Situation für einige Dalits verbessert. Diese Entwicklungen sollte man jedoch nicht überbewerten. Das jahrhundertelange Denken in Labels und Hierarchien hat sich tief in der Gesellschaft verwurzelt. Besonders in ländlichen Regionen, aber nicht nur dort, ist die Diskriminierung von Dalits immer noch weitverbreitet. Auch die Berührungstabus haben sich erhalten. Dalits müssen oft in eigenen Wohnvierteln leben, dürfen kein Wasser aus dem Brunnen der „reineren“ Kasten schöpfen und keine hinduistischen Tempel betreten. Viele müssen weiterhin „unreinen“ Berufen nachgehen und leben in Armut. Ihr Alltag ist oft von Gewalt durch höhere Kasten geprägt.
Was besagt die Quotenregelung?
Die indische Verfassung verbietet Unberührbarkeit und Kastendiskriminierung. Um der jahrhundertelangen gesellschaftlichen Diskriminierung entgegenzuwirken, gibt es staatliche Fördermaßnahmen für Dalits und Adivasi (Stammesbevölkerung). Eine bestimmte Quote an Studienplätzen und Arbeitsplätzen in staatlichen Unternehmen und Verwaltungen sind für Dalits und Adivasi „reserviert“. Dazu wurde eine Liste („Schedule“) aller in Frage kommenden Dalit-Unterkasten („Scheduled Castes“, SC) und Adivasi-Stammesgruppen („Scheduled Tribes“, ST) erstellt. Allerdings wurden Menschen, die nicht Hindus, Sikhs oder Buddhisten sind, explizit von der Quotenregelung ausgenommen. Das bedeutet, dass christliche Dalits nicht als SC klassifiziert wurden. Sie gehören deshalb bis heute zu den am stärksten von Unterentwicklung betroffenen Gruppen in der indischen Gesellschaft. (Darüber hinaus ist die Quotenregelung auch deshalb nicht unproblematisch, weil sie weiterhin soziale Mobilität mit Kastenzugehörigkeit verknüpft. Dadurch sind Kastenidentitäten noch gefestigt worden.)
Paradigmenwechsel
Das Evangelium stellt alles, was Dalits ihr Leben lang zu hören bekommen, auf den Kopf. In der indischen Gesellschaft gelten sie als wertlos und unrein, als anderen Menschen unterlegen. In der Bibel lesen sie, dass sie wie alle anderen Menschen in Gottes Bild geschaffen sind, dass Jesu Blut sie reinwäscht und sie Kinder Gottes werden können. Diese Botschaft hat große Kraft – viele Dalits nehmen das Evangelium an und erzählen ihren Mitmenschen begeistert von Jesus, sodass ganze Dalit-Communities zum Glauben kommen. Ihre Entscheidung für Jesus gefällt aber nicht jedem. Sie stößt auf Widerstand und führt zu Verfolgung: „Die höheren Kasten mögen es nicht, wenn niedrigkastige Hindus Christen werden“, erklärt Abishek*, ein Partner von Open Doors. „Die hohen Kasten haben immer die niedrigen Kasten beherrscht. […] Jetzt haben die hohen Kasten Angst, ihren Respekt und ihre Würde in der Gesellschaft zu verlieren.“ Beten wir deshalb, dass auch Inder aus höheren Kasten die freimachende Botschaft des Evangeliums hören – dass sie erfahren, dass ihre Würde nicht von ihrem Kastenrang abhängig ist.
*Name geändert

Gesetze, die zur Verfolgung führen
Laut Verfassung ist Indien ein säkularer Staat, in dem Glaubensfreiheit garantiert wird. Die Realität sieht jedoch anders aus. Wer Gewalt gegen Angehörige religiöser Minderheiten wie Christen oder Muslime verübt, kommt häufig straffrei davon. In einigen Bundesstaaten verschärfen sogenannte „Anti-Bekehrungs-Gesetze“ die Situation zusätzlich. Je nach Bundesstaat leicht unterschiedlich, verbieten die Gesetze im Kern, dass Menschen mit unlauteren Mitteln wie Gewalt, Betrug, Geldgeschenken oder Heirat zu einem anderen Glauben (zwangs-)bekehrt werden. Außerdem muss ein beabsichtigter Glaubenswechsel fast immer zunächst von den Behörden genehmigt werden. Verstöße gegen die Gesetze können mit Geldbußen oder Haftstrafen bis zu zehn Jahren geahndet werden.
Missbräuchliche Anwendung der Gesetze
In der Praxis werden diese Gesetze vor allem dazu missbraucht, Christen und Muslime zu verfolgen. Angreifer rechtfertigen sich oft damit, dass die betroffenen Personen Hindus „zwangsbekehren“ würden. Dabei reicht es für Extremisten schon als angeblicher „Bekehrungsversuch“, wenn beispielsweise ein Christ offen davon spricht, dass er Jesus nachfolgt. Auch Gebetstreffen werden häufig gestürmt, mit dem Vorwand, dass die anwesenden Christen „Bekehrungsaktivitäten“ durchführen würden. Diese falschen Anschuldigungen von Zwangsbekehrung führen dazu, dass die Behörden die Angreifer von Christen oft nicht bestrafen – sondern im Gegenteil die angegriffenen Christen in Untersuchungshaft stecken und eine Anzeige gegen sie aufnehmen. Polizisten sind außerdem bekannt dafür, Christen in Untersuchungshaft äußerst brutal zu behandeln, und sie machen teilweise sogar gemeinsame Sache mit Hindu-Extremisten, etwa wenn sie zusammen mit ihnen Razzien bei Christen durchführen. Hinzu kommt, dass Bekehrungen zum Hinduismus – selbst wenn sie gewaltsam herbeigeführt wurden – in den meisten Fällen nicht geahndet werden. So können Hindu-Extremisten ungehindert sogenannte „Ghar Wapsi“-Kampagnen durchführen, um Christen zum Hinduismus zu bekehren. Dabei setzen sie Gewalt ein oder nutzen die niedrige soziale Stellung und Armut der Christen aus, um sie mit Geldgeschenken zu bestechen, damit sie konvertieren. Für Hindu-Nationalisten ist die Bekehrung zum Hinduismus keine Bekehrung, sondern eine „Heimkehr“ („Ghar Wapsi“) zur ursprünglichen Religion Indiens. Anti-Bekehrungs-Gesetze stellen eine Gefahr für Christen dar, aber auch in den Bundesstaaten ohne diese Gesetze können Christen angezeigt und verhaftet werden. Hier wird häufig Absatz 295A des Strafgesetzbuches vorgeschoben, der es verbietet, bewusst die „religiösen Gefühle“ einer anderen Gruppe zu verletzen. So können Hindus ein Gebetstreffen von Christen als „verletzend“ empfinden – aber die Zerstörung von Kirchengebäuden wird nicht dementsprechend geahndet.
Wussten Sie?
Indische Christen werden oft innerhalb ihrer Dorfgemeinschaft bestraft und sozial boykottiert – sie werden gemieden, bekommen keinen Zugang zur Wasserversorgung, niemand verkauft ihnen Lebensmittel oder hilft ihnen bei der Ernte. Das funktioniert zum einen, weil die indische Verfassung vorsieht, dass sich Dörfer und Distrikte selbst verwalten und dass dazu Räte gewählt werden („Gram Panchayats“). Diese übernehmen z. B. die Bereitstellung von Dienstleistungen und Fördermitteln und können Christen bewusst davon ausschließen (wie bei der Verteilung von Corona-Nothilfe). Daneben existieren traditionelle „Khap Panchayats“. Das sind Versammlungen von Angehörigen einer Kaste oder eines Clans, die mehrere Dörfer umspannen können. Im Norden Indiens haben sie großen Einfluss in der Gesellschaft: Sie überwachen das kastenkonforme Verhalten ihrer Mitglieder, wozu auch das religiöse Verhalten gehört. Strafen reichen von sozialer Isolation bis hin zu Ehrenmorden.
Hindernis für Evangelisation
Diese Gesetze und ihre ungleiche Anwendung machen allen Christen das Leben schwer. Man muss nicht einmal aktiv von Jesus weitererzählen, um der Zwangsbekehrung beschuldigt zu werden. Immer mehr Christen treffen sich deshalb nur noch in kleinen Gruppen, statt sich zu großen Gottesdiensten zu versammeln, manche halten ihren Glauben an Jesus vor ihrem Umfeld geheim. Der Dienst von Evangelisten und Pastoren wird umso mehr von diesen Gesetzen eingeschränkt. „Wir können das Evangelium nicht mehr offen weitergeben“, sagt der indische Pastor Dev Rai* und bittet um Gebet: „Wenn Menschen für mich beten, bekomme ich Mut, den Dienst hier an meinem Ort und in meiner Kirche zu tun.“ Zusätzlich zur Behinderung durch die „Anti-Bekehrungs-Gesetze“ sind Evangelisten und Pastoren in Indien besonders häufig Ziel der Angriffe von Hindu-Extremisten, die damit nicht nur die Ausbreitung des Evangeliums stoppen, sondern auch die ganze Gemeinde einschüchtern wollen. Und die Extremisten greifen nicht nur die Pastoren selbst an, sondern auch deren Familien. Durch sexuelle Gewalt gegenüber den Frauen und Töchtern wollen sie die Familie mit einem Stigma der Schande belegen und den Pastor für seinen Dienst „bestrafen“.
Unser Dienst in Indien
Aarav Kapurs* Telefon klingelt: Ein Christ wurde von den anderen Dorfbewohnern zusammengeschlagen und übel zugerichtet. Er braucht dringend medizinische Versorgung. Aarav legt sich ein orangefarbenes Schultertuch um und macht sich auf den Weg. Heute geht er als Hindu-Nationalist. Open Doors unterstützt verfolgte Christen in Indien über lokale Partner wie Aarav. „Wir helfen mit medizinischer Versorgung. Wir besuchen die Christen, beten mit ihnen und ermutigen sie. Wir betreiben Zufluchtshäuser. Wenn Häuser zerstört werden, bauen wir sie wieder auf. Wenn die Christen Nothilfe brauchen, helfen wir auf diese Art“, beschreibt er ihre Arbeit. Ihr Ziel ist es, dass Christen nach einem Übergriff noch am selben Tag Hilfe erhalten. Keine leichte Aufgabe in so einem riesigen Land wie Indien, in dem es fast 70 Millionen Christen und täglich neue Verfolgungsmeldungen gibt.
Wer zuerst kommt, hilft zuerst
Einer der Schwerpunkte des Dienstes von Open Doors in Indien sind Seminare zum Umgang mit Verfolgung. Diese werden in Gemeinden im ganzen Land durchgeführt. Dadurch ist ein großes Netzwerk entstanden – zwischen den Partnern von Open Doors und einzelnen Gemeinden, aber auch zwischen den Gemeinden untereinander. Dieses weitreichende Netzwerk ermöglicht es Aarav, schnell auf Verfolgungsmeldungen zu reagieren. In dem Bundesstaat, für den er zuständig ist, „haben wir in jedem Bezirk Freiwillige und Pastoren, die uns helfen“. Wenn Christen verletzt wurden, aber Aarav sie nicht schnell genug erreichen kann, beauftragt er jemanden aus seinem Netzwerk mit der dringendsten medizinischen Versorgung. Wer am nächsten dort ist, geht hin und hilft.
Woher kommt die große Brutalität?
Die Verfolgung von Christen in Indien ist sehr gewaltsam und die Brutalität der Angreifer, auch gegenüber Frauen und Kindern, ist erschütternd. „Die Situation ist sehr viel schwieriger geworden. Wir hören jeden Tag von Übergriffen: dass wieder ein Christ oder eine Christin brutal verprügelt, vergewaltigt oder sogar ermordet wurde“, berichtet Samuel*, ein indischer Partner von Open Doors. Als fatal erweist sich dabei, dass in der indischen Gesellschaft ohnehin ein Menschenleben als solches wenig zählt und Gewalt weit verbreitet ist. Dies hat mit dem Kastenwesen zu tun, in dem Menschen hierarchisch eingeteilt werden. Nach dieser Denkweise besitzt ein Mensch keinen Wert an sich, sondern wird nur nach seinen äußeren Labels beurteilt und dementsprechend behandelt. Diese Mentalität ermöglicht den Erfolg von hindu-nationalistischer Hetze gegen Christen. Wer das Label „Christ“ trägt, gilt jetzt als „gefährlich“ und „minderwertig“; diese Person anzugreifen und zu töten, gilt als völlig in Ordnung. Unterstützt wird dies durch die hindu-nationalistische Propaganda, dass Hindus anderen Menschen überlegen seien. So fällt es Hindu-Nationalisten nicht schwer, eine Menschenmenge zu Angriffen auf Christen anzustacheln.
„Rasender Retter“ für Verhaftete
Schnelles Handeln ist auch für Sujit Reddy* wichtig. Er ist Anwalt, ebenfalls Partner von Open Doors und tritt in Aktion, wenn Christen wegen angeblicher Zwangsbekehrung von Hindus verhaftet wurden. „Rein rechtlich dürfen nur höhere Polizeibeamte hingehen und Gottesdienste stoppen oder Untersuchungen und Verhöre anordnen“, sagt er. „Aber die Hindu-Extremisten missbrauchen das [Anti-Bekehrungs-]Gesetz. Sie greifen Gottesdienste an und bringen falsche Anschuldigungen gegen die Christen vor.“ Die hinzugezogene Polizei stellt sich in solchen Fällen oft auf die Seite der Angreifer und nimmt die Christen fest. Wenn Sujit davon hört, wendet er sich als Erstes an seine Kontakte in der Nähe und schickt sie als Vorhut aufs Revier. „Wenn sie auf die Wache kommen, signalisiert das der Polizei, dass es Menschen gibt, die die Christen unterstützen“, erklärt er. Das verhindert weitere Willkürhandlungen der Polizei und erkauft Sujit die nötige Zeit, um ebenfalls vor Ort zu kommen. Meist gelingt ihm die Freilassung der Christen, noch bevor ihre Angreifer einen sogenannten „First Information Report“ (FIR) erstellen konnten. Das ist wichtig, denn ein FIR dient in Indien der Anzeige von Straftaten: Die Polizei hätte dadurch größere juristische Handhabe gegen die der Zwangsbekehrung beschuldigten Christen und könnte sie ohne Haftbefehl einsperren. Deshalb ist Sujits schneller Einsatz so wichtig – und auch so angefochten. Hindu-extremistische Anwälte intrigieren gegen ihn und schon mehrmals wurde sein Auto sabotiert, um ihn durch einen „Unfall“ auszuschalten.

Hilfe undercover
Auch Aarav ist mit den Gefahren des Dienstes zur Unterstützung verfolgter Christen vertraut. Wenn er und sein Team in die Dörfer gehen, in denen Christen gewaltsam angegangen wurden, begeben sie sich gewissermaßen in die Höhle des Löwen. Um weder sich noch die betroffenen Christen zu gefährden, bleibt ihnen manchmal nur ein Undercover-Einsatz übrig. Manchmal geben sie sich als Händler aus, die im Dorf Geschäfte betreiben wollen. Und manchmal tragen sie ein orangefarbenes Tuch und verhalten sich wie hindu-nationalistische Verfolger. Sie gehen zum Dorfvorsteher und fragen, ob das Gerücht stimmt, dass in seinem Dorf jemand Christ geworden ist. Dann verlangen sie Name und Adresse der Person. Wenn sie bei den Christen eintreffen, reichen zwei Worte, um ihre wahren Absichten zu offenbaren: „Jai Masih“. Das bedeutet so viel wie „Preist den Herrn“ und ist in Indien die Standardbegrüßung unter Christen.
Aarav erzählt uns von einem christlichen Familienvater, der schwer verprügelt worden war. Man erlaubte ihm nicht, sein Dorf zu verlassen, um medizinische Hilfe zu bekommen. Und im Dorf selbst wäre jeder bestraft worden, der auch nur mit der christlichen Familie sprach. „Wir gingen als Erstes zum Dorfvorsteher“, erzählt Aarav. „Er dachte, wir sind einer von ihnen – auch gegen Christen. […] Als wir das Haus der christlichen Familie betraten, lag der Mann da, seine Frau und Kinder um ihn herum; er war in einem sehr schlechten Zustand. Aber als wir ihn mit ,Jai Masih‘ begrüßten, strahlte er. Er war völlig erstaunt, dass Christen zu ihm kamen.“ Der Dienst der Partner von Open Doors wird nur durch Gebet ermöglicht. „Um der verfolgten Gemeinde zu dienen, setzen wir unser Leben aufs Spiel“, sagt Aarav. „Manchmal haben wir Angst, aber wir vertrauen Gott und beten, dass er uns hilft und den Weg freimacht.“ Und er bittet: „Betet, dass Gott uns noch mehr Mut gibt.“
*Name geändert
Was Christen in Indien erleben
Gewalt steht in Indien an der Tagesordnung. Verbrechen wie Ehrenmorde, Säureangriffe oder Vergewaltigungen geschehen regelmäßig im ganzen Land. Christen sind häufig Ziel dieser Angriffe. Damit gehört das Ausmaß der Gewalt gegen Christen in Indien zu den höchsten auf dem Weltverfolgungsindex. Hinter dieser Gewaltstatistik stehen die Erlebnisse unserer Glaubensgeschwister. Hier eine Auswahl.
*Name geändert
Mahi
Mahi wuchs in einem Dorf in einfachen Verhältnissen auf. Sie beschreibt das Familienleben in ihrer Kindheit und Jugend als glücklich – bis zu dem Tag, als ihre Mutter schwer krank wurde und kein Arzt helfen konnte. Mit ihrem baldigen Tod rechnend lag Mahis Mutter im Krankenhaus, wo sie von einer Christin besucht wurde. Diese erzählte ihr von Jesus und betete – und Jesus heilte Mahis Mutter! Daraufhin wurde sie Christin, ebenso wie Mahi und ihre Schwester. Im Dorf waren die drei Frauen mit ihrem neuen Glauben allein. Von den Dorfbewohnern schlug ihnen nur Spott und Hass entgegen. Auch Mahis Vater war gegen den Glaubenswechsel, und das familiäre Zusammenleben war zunehmend von Konflikten geprägt. Die Situation verschlimmerte sich noch, als der Vater begann, sich regelmäßig zu betrinken. Mahis Mutter setzten die Schikanen ihres Ehemannes so zu, dass sie erneut krank wurde. Nach etwa einem Jahr verstarb sie.
Allein und schutzlos
„Als meine Mutter starb, fühlte es sich an, als wäre mir alles genommen worden“, erzählt Mahi. Jetzt bekamen sie und ihre Schwester den vollen Hass ihres Vaters ab. Er verbot ihnen, den Gottesdienst zu besuchen; und je mehr er im Alkoholismus versank, desto mehr vernachlässigte er seine Töchter, die oft nicht genug zu essen hatten. Mahis Schwester zog für ihre schulische Ausbildung schließlich in ein staatlich gefördertes Wohnheim und war nicht mehr regelmäßig zu Hause. Mahi war nun die meiste Zeit mit ihrem Vater allein. Doch obwohl er sie schlecht behandelte, bot ihr seine Anwesenheit einen gewissen Schutz gegen die Feindseligkeiten der anderen Dorfbewohner. Als ihr Vater sechs Monate nach dem Tod ihrer Mutter an alkoholbedingtem Organversagen starb, wurde Mahi völlig schutzlos. „Wenn ich Wasser holen ging, warfen die Dorfbewohner meine Gerätschaften weg“, sagt sie. „Sie verspotteten mich und machten sich darüber lustig, dass ich ein ,Jesus-Mädchen‘ geworden sei.“ Wenn Mahi zur Kirche ging, lauerten ihr die jungen Männer des Dorfes auf und versuchten, sie sexuell zu belästigen. Außerdem wurde die Regel aufgestellt, dass alle aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen werden würden, die Mahi halfen oder mit ihr sprachen (Beschimpfungen natürlich ausgenommen). Mahi lebte fortan in einem Umfeld aus Isolation und Feindseligkeit. Dann, an einem Abend im Januar 2022, eskalierte die Situation.

„Verlass Jesus – oder dein Dorf!“
„Mein Pastor und etwa zehn weitere Christen waren zu einem kleinen Gebetstreffen zu mir gekommen“, erzählt Mahi. Ihre Nachbarn verbreiteten das Gerücht im Dorf, dass bei dem Treffen gewaltsam Hindus bekehrt werden würden. „Die Dorfbewohner umzingelten mein Haus“, berichtet Mahi weiter. „Sie sagten: ,Wir werden euch Christen einsperren und das Haus anzünden.‘“ Den Christen gelang es zu fliehen und sich zu Fuß zur 9 km entfernten Polizeistation durchzuschlagen. Dort wollten sie den Fall melden, aber: „Uns wurde gesagt, der Polizist sei nicht da. Wir sollten am nächsten Morgen wiederkommen.“ Tags darauf berief der Dorfrat eine Versammlung ein, zu der auch Vertreter aus den umliegenden Dörfern kamen. Gemeinsam hielten sie Gericht über Mahi. „Sie sagten: ,Entweder du verlässt Jesus oder dieses Dorf‘“, berichtet sie. Mahi hielt an Jesus fest und verließ ihr Dorf mit dem, was sie tragen konnte. Inzwischen wohnt Mahi in einer Unterkunft, die Partner von Open Doors für sie gemietet haben. Ihre Gemeinde ist ihr zu einem Familienersatz geworden. Und als sie hört, dass durch Shockwave viele Glaubensgeschwister in Deutschland für sie beten werden, meint sie: „Als meine Eltern starben, habe ich alles verloren. Aber durch Christus habe ich eine große Familie bekommen. Darüber bin ich sehr glücklich.“ Ihr Herzensanliegen ist es, dass ihre Mitmenschen ebenfalls Jesus annehmen: „So wie Jesus mich gerettet hat, will ich andere junge Leute für Jesus retten.“ Sie bittet: „Betet für mich, dass ich das mit meinem Leben erreiche.“
Bagre
Als Jugendlicher begann Bagre, sich genauer mit den hinduistischen Schriften auseinanderzusetzen. Besonders das Thema der Wiedergeburt beschäftigte ihn. Wie konnte er sicher sein, dass es ihm jemals gelingen würde, daraus auszubrechen und Erlösung zu erlangen? Hilfe erhoffte er sich von der Göttin Kali, die in seiner Familie als Hauptgöttin verehrt wurde. Jeden Abend führte der Priester im Tempel Tänze und Gesänge durch, bei denen Kalis Geist von ihm Besitz ergriff und den anwesenden Gläubigen Weisung oder Heilung zukommen ließ. Als Bagre vor dem Priester stand, hörte er folgende Worte Kalis aus dessen Mund: „Es gibt viele Hindernisse, die deiner Erlösung im Weg stehen. Wenn du mir deine Seele gibst, werde ich dir alle Reichtümer dieser Welt zu Füßen legen. Ich will keine Geschenke, Opfergaben oder Blumen. Ich will, dass du allein mich anbetest.“
Bagre erbat sich etwas Bedenkzeit. Er war sich eigentlich sicher, dass er Kali seine Seele geben würde. Und gleichzeitig plagten ihn schreckliche Zweifel. Innerlich um eine Entscheidung ringend, saß er eines Abends vor seinem Haus, als ein christlicher Missionar vorbeikam. Dieser erkannte, dass Bagre etwas beschäftigte und sprach ihn an. Bagre erzählte von seinem Dilemma, woraufhin der Missionar seine Bibel öffnete. Er las die Stelle aus Matthäus 4 vor, wo Jesus vom Teufel versucht wird und Reichtümer angeboten bekommt. „Ich war schockiert und erstaunt“, erzählt Bagre, „denn ich erlebte die gleiche Situation. Aber ich verstand nicht, wie diejenige, die ich als Gottheit verehrte, in diesem Fall der Teufel sein konnte.“ Der Missionar riet ihm, Kali am nächsten Abend nach Jesus Christus zu fragen.
Der wahre Weg zur Erlösung
Dies tat Bagre. Als er erneut vor dem Priester stand und die Göttin ihn fragte, ob er ihr nun seine Seele geben werde, antwortete Bagre: „Sag mir zuerst, wer Jesus Christus ist.“ Auf einmal wurde Kali ganz still! Nach einer Weile wiederholte sie ihr Angebot von Reichtum. Bagre jedoch bestand auf einer Antwort auf seine Frage. „Gut, dann hör zu“, sagte Kali schließlich, „Jesus Christus allein ist der Anfang und das Ende.“ Je mehr sie Bagre über Jesus erzählte, desto mehr schwanden ihre Kräfte. „Sie konnte nicht mehr länger Wunder tun!“, erzählt Bagre. „Und ich empfand zum ersten Mal in meinem Leben Frieden. Meine Suche war vorbei. Ich hatte erkannt, dass Jesus die Wahrheit und der Weg zur Erlösung war.“ Als Bagre nach Hause kam, öffnete er die Bibel, die ihm der Missionar gegeben hatte. Er landete bei Offenbarung 21,6: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende.“ Bagre übergab Jesus sein Leben. „Mein Wunsch und mein Gebet ist es, dass die Menschen hier den wahren Gott kennenlernen – dass sie von all diesen Ritualen und satanischen und dämonischen Dingen befreit werden und den wahren Gott anbeten, den wirklich starken Gott, der ihr Leben verändern kann“, sagt Rajesh Singh*, einer der indischen Partner von Open Doors. Beten wir mit ihm.
*Name geändert
Nitish & Kavita
Nitish * und seine Frau Kavita* zogen in ein Dorf, wo es keine Christen gab. Durch ihr Zeugnis kamen Menschen zum Glauben an Jesus, eine Gemeinde entstand – aber Nationalisten versuchten ihren Dienst zunichtezumachen. In Angst und Ungewissheit wurde das Ehepaar von Jesus ermutigt.

Nitish ist Pastor und Evangelist. Aufgewachsen ist er als Hindu, doch als er erlebte, wie Jesus in seiner Familie auf wundersame Weise Heilung und Befreiung schenkte, entschied er sich, von nun an für Jesus Christus zu leben. Nitish wurde Assistent eines Pastors. Nach einigen Jahren fühlte er sich von Gott zu einem neuen Dienst berufen. Gemeinsam mit Kavita und dem einen Monat alten Baby zog er vor mehr als zehn Jahren in ein kleines Dorf, in dem es noch keine Christen gab, um auch an diesem Ort Menschen die freimachende Botschaft des Evangeliums bekannt zu machen.
Eine Gemeinde entsteht
„Gott hat viele Wunder getan“, sagt Nitish über die Anfangszeit an ihrem neuen Wohnort. Gemeinsam mit Kavita erzählte er den Dorfbewohnern von Jesus und betete für Kranke. Menschen begannen, an Jesus zu glauben, und eine Gemeinde entstand. Nach einigen Jahren gab es etwa 40 Christen im Dorf. Alles schien gut – doch ab einem bestimmten Zeitpunkt hatte Nitish den Eindruck, er solle um Schutz für seine Familie und seinen Dienst beten. Das tat er. „Ich hatte meine Fragen, dennoch fuhr ich mit diesem Gebet fort. Jetzt weiß ich, dass das einen Sinn hatte.“ Denn dass im Dorf eine Gemeinde entstanden war und diese wuchs, rief allmählich Widerstand hervor.
Es begann mit Schikanen und Sachbeschädigung. Dann platzten eines Abends ein paar junge Männer in ein Gebetstreffen. Sie stießen Drohungen aus und begannen, auf Nitish einzuschlagen. „Sie zerrissen mein Hemd und schlugen mich heftig“, sagt er. „Dann schlugen sie auf meine Frau ein, sodass sie das Bewusstsein verlor.“ Als die Angreifer sahen, dass sie das Treffen erfolgreich gestört und das Ehepaar verletzt hatten, zogen sie sich zurück. Doch als ein Krankenwagen kam, um Nitish und Kavita ins Krankenhaus zu bringen, drängten die Männer die Fahrer, das Paar dort nur abzusetzen, den Angriff aber zu verheimlichen. Es gelang ihnen sogar, die Ärzte im Krankenhaus so zu beeinflussen, dass sie Nitish und Kavita die angemessene Behandlung verweigerten. Erst als andere Pastoren und ein Anwalt sich für sie einsetzten, wurden die beiden medizinisch versorgt. Aufgrund ihrer Verletzungen und der verzögerten Behandlung waren sie eine Woche im Krankenhaus. Während dieser Zeit wurde das leerstehende Kirchengebäude verwüstet.
Leben in Angst
Der Angriff hat die Gemeinde erschüttert. „Die Hälfte der Christen kommt seit diesem Vorfall nicht mehr zur Kirche, denn die Nationalisten haben jeden einzelnen zu Hause aufgesucht und mit schlimmen Konsequenzen gedroht, wenn sie oder er weiterhin an christlichen Versammlungen teilnehmen würde“, sagt Kavita. „Diejenigen Geschwister, die weiterhin kommen, haben ebenfalls große Angst. Sie wollen nicht mit dem Pastor sprechen und verlassen die Kirche sofort nach dem Gottesdienst.“ Lieder werden nur noch leise gesungen und keine Musikinstrumente mehr benutzt. Nitish und Kavita selbst mussten sich nicht nur von ihren körperlichen und seelischen Wunden erholen; sie fragten sich, ob und wie sie ihren Dienst überhaupt fortsetzen konnten. Bislang hatten sie von Spenden der Gemeinde gelebt, aber nach dem Angriff brachen diese ein.

Ermutigung durch Anteilnahme
In ihren Sorgen und Kämpfen wurden sie durch die Zusagen in der Bibel ermutigt. „Wir dachten, wir könnten den Dienst nicht fortsetzen, aber der Herr stärkte uns durch sein Wort, in dem es heißt: ,Fürchtet euch nicht, denn ich bin bei euch.‘“ Auch in der Anteilnahme anderer Christen erkannten Nitish und Kavita Gottes Fürsorge. Unterstützer von Open Doors ermöglichten lokalen Partnern, das Ehepaar zu besuchen, ihnen Lebensmittel zu bringen und eine Nähmaschine bereitzustellen, damit die beiden mit einer Schneiderei ihren Lebensunterhalt verdienen können. „Wir würden in Angst und Sorge leben, wenn ihr uns nicht zu Hilfe gekommen wärt. Wir haben erkannt, dass wir nicht allein sind. Gottes Volk steht uns in unseren Nöten bei und unterstützt uns durch Gebet“, sagt Kavita. Sie und Nitish sind noch immer im Dorf und setzen ihren Dienst fort im Vertrauen auf die Hilfe und Leitung ihres Herrn Jesus Christus.
*Name geändert