„Jesus ließ mich nicht im Stich“

Henry* von den Philippinen

 

Es war am 23. Mai 2017. Der Tag hatte für Henry* genauso begonnen wie jeder andere Arbeitstag. Der Zimmermann aus Marawi im Süden der Philippinen arbeitete gerade zu Hause in seiner Werkstatt, als er hörte, wie jemand an seine Tür hämmerte. Henry ließ sein Werkzeug zwischen den Sägespänen liegen und öffnete. Vor ihm standen bewaffnete Männer. Seine Frage, ob sie von der Polizei wären, verneinten sie. „Wer seid ihr dann?“, fragte er mit wachsendem Unbehagen. „Deine Mörder“, antworteten sie. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Der 23. Mai 2017 war der erste Tag der Besetzung der Stadt durch die Maute-Rebellen, eine islamistische Gruppe, die dem IS die Treue geschworen hat. Noch am selben Tag ermordeten die Extremisten neun Christen und setzten eine Kathedrale und eine von Christen geführte Schule in Brand. Es war der Beginn eines erbitterten, fünfmonatigen Krieges zwischen Rebellen und Regierungstruppen, in dem Bomben Wohnhäuser und öffentliche Einrichtungen zerstörten und viele Einwohner Marawis flohen. Am Abend wehten über der Stadt die schwarzen Flaggen des IS.

Betender Mann von Hinten mit gefalteten Händen
Bild: Henry

In Geiselhaft

Henry erinnert sich, wie die Männer ihm die Augen verbanden und ihn in einen Lieferwagen schoben. Fast eine Stunde lang fuhren sie kreuz und quer durch die Straßen. „Ich wusste, dass sie versuchten, mich zu verwirren“, sagt er. Dann hielt der Wagen an. Die Männer führten Henry durch ein knarrendes Metalltor und als er die Binde vor seinen Augen abgenommen bekam, fand er sich in einen Raum mit 15 bis 20 anderen Männern und Frauen wieder – Geiseln wie ihm selbst. Sie trösteten und ermutigten sich gegenseitig. „Unablässig beteten wir, alle von uns“, berichtet Henry.

„Wir beteten für unsere Entführer, für unsere Angehörigen, unsere Geschwister.“

Schreckliche Erinnerungen

Was die Geiseln in diesen Tagen erlebten, war schrecklich. Sie mussten mitansehen, wie Männer und Frauen enthauptet wurden. „Ich schob meine Gefühle beiseite. Ich wusste, ich würde weiter darüber nachdenken und am Ende würde es mich verrückt machen. Ich musste meine Gedanken unter Kontrolle halten.“

Während Henry erzählt, geht sein Blick starr ins Leere. Manchmal wacht er mitten in der Nacht auf und all die furchtbaren Erinnerungen kommen wieder in ihm hoch. Die Zeit in Gefangenschaft hat ihn schwer erschüttert. Doch eine Gewissheit hat er nie verloren: „Jesus Christus hat Macht über alles.“

Dem Tod so nah

„Jesus ließ mich nicht im Stich“, sagt Henry voller Überzeugung. „Ich setzte mein Vertrauen auf Jesus und flehte zu ihm.“ Eine Woche nach seiner Gefangennahme hörte er, wie sich seine Entführer unterhielten. Als er merkte, wovon sie sprachen, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken – sie redeten davon, dass er und die anderen mit ihm eingesperrten Geiseln noch am selben Tag getötet werden sollten. „Ich sagte den anderen Gefangenen, dass wir zu Jesus beten und ihn bitten sollten, unseren Glauben zu stärken, weil dieser Tag unser letzter sei“, berichtet Henry.

Gottes Eingreifen

Der einzige, wenn auch blasse Hoffnungsschimmer war das Metalltor. Ihre Hände waren zwar gefesselt und sie wussten, dass sich auf dem Gelände rund 300 Maute-Extremisten befanden, aber vielleicht … Einer aus der Gruppe probierte vorsichtig, ob sich das Tor öffnen ließe – zu ihrer großen Überraschung war es nicht verschlossen. Sie zögerten dennoch; sicher würde das laute Geräusch die Wächter draußen sofort alarmieren. Doch dann begannen gerade in diesem Moment die Luftangriffe – ein alles übertönender Lärm. Also öffneten Henry und die anderen Gefangenen das Tor und rannten um ihr Leben.

Endlich wieder frei

„Während wir rannten, betete ich, dass diejenigen von uns, die überleben würden, ihr Leben ganz Gott weihen würden“, erzählt Henry. Er hörte Schüsse, Schreie, aber er drehte sich nicht um. Als sie weit genug entfernt waren, gelang es den zehn Überlebenden mithilfe scharfkantiger Steine, ihre Fesseln zu zerschneiden. Wenig später kamen sie an einen Fluss und sprangen hinein. Nach etwa einer Stunde wurden sie von Soldaten gerettet. Sie waren frei.

Eine neue Chance

„Ich kann meine Freude nicht beschreiben, als ich meine Familie sah. Jesus hat mir eine neue Chance gegeben, ihn besser kennenzulernen“, sagt Henry. Doch nicht alle haben überlebt. „Bitte betet vor allem für die, die ihre Lieben verloren haben“, ergänzt er deshalb. Zwar wurde Marawi am 27. Oktober 2017 befreit, aber die Kämpfe haben die Stadt in Trümmern hinterlassen. „Es gibt Familien, die noch immer verstreut sind. Sie wissen nicht, wohin sie gehen können.“ Henry hofft, schon bald wieder sein Werkzeug aufnehmen und neu anfangen zu können.

*Name geändert

 

Alle Berichte

 

Video zum Bericht

Als am 23. Mai 2017 die mit dem IS verbündete Maute Gruppe die Kontrolle über die Stadt Marawi auf den Philippinen übernimmt, gerät Henry in Geiselhaft. Wie durch ein Wunder überlebt er:

 

Video: Philippinen: Dem Tod entronnen

Weitere Themen

Gottes verborgenes Wirken

Blicken Sie mit dieser Auswahl an Zeugnissen auf Gottes verborgenes Wirken inmitten des Leids verfolgter Christen – auf die andere Seite der Christenverfolgung!

Portrait eines afrikanischen Mannes mit traurigem Gesichtsausdruck

Hinter den Zahlen des Weltverfolgungsindex stehen Menschen, die Frauen und Männer, die wegen Ihres Glaubens an Jesus verfolgt werden – die „Gesichter der Verfolgung“.

Open Doors Mediathek

Gewinnen Sie Einblicke in die Situation verfolgter Christen – durch Medienformate wie unsere TV-Serie, den Podcast oder das Videomagazin.