Weltverfolgungsindex 2025

Marokko

Christenverfolgung in Marokko

Berichtszeitraum: 1. Oktober 2023 – 30. September 2024

1. Überblick

Ein immer wiederkehrendes Problem für Christen, die offen zu ihrem Glauben stehen, ist Artikel 220 des marokkanischen Strafgesetzbuches, der die „Erschütterung des Glaubens eines Muslims“ unter Strafe stellt. Für viele Christen, die mit anderen über ihren Glauben sprechen, besteht daher die Gefahr, verhaftet und strafrechtlich verfolgt zu werden. Diejenigen, die sich für die Rechte von Christen einsetzen, werden von der Regierung und islamistischen Extremisten überwacht. Während das Gesetz nur die Missionierung unter Strafe stellt, können Muslime, die zum christlichen Glauben konvertieren, auch auf andere Weise bestraft werden und beispielsweise ihr Erbrecht und das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren.

Länderprofil als PDF

Das nachfolgende Länderprofil ist ein übersetzter Auszug aus den ausführlichen Berichten von World Watch Research, der Forschungsabteilung von Open Doors. Dieses deutsche Länderprofil finden Sie hier auch als PDF zum Download. Die ausführlichen Berichte in englischer Originalfassung („Background Information“ und „Persecution Dynamics“) finden Sie am Ende dieser Seite.

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2. Hintergrund

Marokko erlangte 1956 die Unabhängigkeit von Frankreich. Seitdem ist das Land im Vergleich zu seinen regionalen Nachbarn relativ stabil und wohlhabend. Im Jahr 2011 erreichte der Arabische Frühling das Land. Zahlreiche Demonstranten brachten ihre Frustration über die Arbeitslosigkeit zum Ausdruck und forderten mehr bürgerliche Freiheiten. Die Regierung organisierte ein Referendum über Verfassungsreformen und konnte so den politischen Umbruch vermeiden, von dem ein Großteil der übrigen arabischen Welt betroffen war. Nichtsdestotrotz gibt es weiterhin Unzufriedenheit in der Bevölkerung – besonders im Norden des Landes in der Region des Rifgebirges. Die dort lebenden Menschen sind hauptsächlich ethnische Berber. Sie fühlen sich von der Regierung vernachlässigt und an den Rand gedrängt.

Der Islam ist die offizielle Staatsreligion und rund 99 Prozent der Bevölkerung sind (überwiegend sunnitische) Muslime. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind die früher großen jüdischen und christlichen Gemeinschaften zahlenmäßig stark zurückgegangen.

Die Abkehr vom Islam hin zum christlichen Glauben ist in Marokko nicht offiziell verboten. Gleichwohl, so schreibt das christliche Hilfswerk Middle East Concern in seinem Länderprofil zu Marokko, sind „Blasphemie, die Verleumdung von Religionen sowie nicht muslimische Missionierung per Gesetz strengstens verboten. Laut Strafgesetzbuch erhält man eine Geld- und Haftstrafe, wenn man einen anderen Menschen davon abzuhalten versucht, seinen Glauben auszuüben; oder wenn man Vergütungen anbietet, um ‚den Glauben eines Muslims zu erschüttern‘ oder ihn zu einer anderen Religion zu bekehren. Das Vereinigungsgesetz verbietet Vereinigungen, die zum Ziel haben, den Islam zu untergraben. Die Verteilung nicht islamischer Materialien unterliegt Einschränkungen. [...] Frauen, die als Musliminnen registriert sind, ist es nicht erlaubt, Nichtmuslime zu heiraten.“

Die Mehrheit der Christen in Marokko sind ausländische Christen, die der römisch-katholischen Kirche angehören. Für sie gibt es einige offiziell zugelassene Kirchengebäude – jedoch nur in den größeren Städten. Einheimische marokkanische Christen sind fast ausschließlich Konvertiten muslimischer Herkunft. Ihnen ist es verboten, die Gemeinden der ausländischen Christen zu besuchen.

Wenn ihr neuer Glaube bekannt wird, erleben sie gesellschaftliche Schikane, zum Beispiel in Form von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Von der Regierung werden sie nicht als Christen anerkannt, und der Geheimdienst überwacht sie genau. Darüber hinaus erleben die christlichen Konvertiten in den meisten Fällen Feindseligkeiten vonseiten ihrer (Groß-)Familien und der Gesellschaft.

Christen in Marokko, besonders Konvertiten, sind sehr vorsichtig darin, wie sie sich in den sozialen Medien äußern. Aussagen, die als Kritik am Islam oder am König und dessen religiöser Autorität verstanden werden könnten, können nicht nur gesellschaftlichen Hass hervorrufen, sondern auch zu Haftstrafen führen. Die meisten Christen, die christliche Beiträge veröffentlichen, nutzen Pseudonyme. Auf der anderen Seite hat das Internet aber auch Vorteile für Christen: Dank der zunehmenden Verfügbarkeit eines Internetzugangs und der sozialen Medien können viele christliche Konvertiten inzwischen online Gemeinschaft mit anderen Christen pflegen – selbst wenn sie geographisch isoliert von anderen Christen leben.

Weltanschauungen

Anhänger

%

Christen

33.000

0,1

Muslime

38.084.000

99,7

Juden

2.200

< 0,1

Bahai

40.900

0,1

Atheisten

290

< 0,1

Agnostiker

51.700

0,1

3. Gibt es regionale Unterschiede?

Die islamische Bevölkerung in den ländlichen Gebieten ist bekanntermaßen konservativ; die meisten Übergriffe gegen Christen finden im mehrheitlich von Berbern bewohnten Nordosten des Landes, im Atlasgebirge und im südöstlichen Wüstengebiet statt. Die meisten christlichen Konvertiten muslimischer Herkunft leben in den Städten, wo es leichter ist, dem Druck der Familie und der Gesellschaft zu entgehen.

4. Was sind die stärksten Triebkräfte der Verfolgung?

Islamische Unterdrückung

Zu den von den islamischen Behörden auferlegten Einschränkungen gehören die Beschlagnahmung von christlicher Literatur in arabischer Sprache (einschließlich Bibeln), sofern diese entdeckt wird, sowie das Verbot, mit Christen aus dem Ausland zusammenzuarbeiten, insbesondere wenn eine Evangelisationsveranstaltung geplant ist. Außerdem ist es für christliche Konvertiten muslimischer Herkunft beinahe unmöglich, Zulassungen für Räumlichkeiten zum Feiern von Gottesdiensten zu erhalten. Darüber hinaus sehen sich christliche Konvertiten aufgrund ihres neuen Glaubens dem Druck von Familie und Gesellschaft ausgesetzt.

Diktatorische Paranoia

Die marokkanische Regierung beäugt die Kirche mit Misstrauen, insbesondere die kirchlichen Aktivitäten, die mit Konvertiten zu tun haben. Man erwartet von Marokkanern, dass sie dem Islam, dem König und dem Land gegenüber loyal sind. In den vergangenen Jahren haben die Behörden Christen der Untreue gegenüber dem König beschuldigt und viele ausländische Christen ohne ordnungsgemäßes Verfahren abgeschoben. Einer der Gründe für diese Art von Maßnahmen der Regierung könnte die Angst vor islamisch-extremistischen Gruppen sein; die Regierung versucht durch Beschwichtigung dieser Gruppen, Unruhen zu verhindern.

Eine vollständige Übersicht aller im Land wirksamen Triebkräfte finden Sie im ungekürzten, englischen Dokument „Persecution Dynamics“.

5. Welche Christen sind von Verfolgung betroffen?

Ausländische Christen und Arbeitsmigranten

Ausländische Christen werden oft überwacht. Sie stehen in der Gefahr, abgeschoben zu werden, wenn man vermutet, sie könnten missionarisch tätig sein. Gleichwohl genießen sie relative Freiheit. Ausländische Christen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara (meist Christen aus Pfingstgemeinden) werden häufig ausgegrenzt und diskriminiert.

Christen anderer religiöser Herkunft (Konvertiten)

Christen mit muslimischem Hintergrund treffen sich in Hauskirchen, weil sie keine Erlaubnis erhalten, sich in offiziellen Kirchen zu versammeln. Sie werden von ihrer Familie und der Gesellschaft unter Druck gesetzt, ihrem Glauben abzuschwören und zum Islam zurückzukehren. In den Städten ist die religiöse Toleranz jedoch meist etwas höher als in ländlichen Gebieten. In der Regel werden christliche Konvertiten überwacht. Es kommt mitunter zu Übergriffen, wenn sie das Evangelium weitergeben.

6. Wie erfahren Christen Druck und Gewalt?

Betroffene Lebensbereiche und Auftreten von Gewalt

Die Summe der Wertungen aller sechs Bereiche (die maximale Punktzahl beträgt jeweils 16,7) ergibt die Gesamtpunktzahl und somit die Platzierung auf dem Weltverfolgungsindex. Das Verfolgungsmuster zeigt das Ausmaß von Druck und Gewalt, welche durch das Zusammenwirken der Triebkräfte hervorgerufen werden.

Privatleben 13.2
Familienleben 13.8
Gesellschaftliches Leben 11.6
Leben im Staat 12.9
Kirchliches Leben 14.3
Auftreten von Gewalt 8.3

Privatleben

Sowohl für einheimische als auch für ausländische Christen ist es riskant, in der Öffentlichkeit mit Personen außerhalb ihrer unmittelbaren Familie über ihren Glauben zu sprechen. Dies birgt das Risiko, nach marokkanischem Recht wegen „Erschütterung des Glaubens eines Muslims“ angeklagt zu werden. Mitbürger können manchmal gewalttätig reagieren, wenn sie sehen, dass ein Konvertit ein christliches Symbol trägt oder über seinen Glauben spricht. Tatsächlich haben viele christliche Konvertiten Angst, über ihren neuen Glauben zu sprechen.

Familienleben

Die Heirat zwischen einer muslimischen Frau und einem christlichen Mann ist gesetzlich verboten. Bei Kindern von Christen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie von Gleichaltrigen diskriminiert und gemobbt werden und von der Gemeinschaft im Allgemeinen Ausgrenzung erfahren. Auf einheimische christliche Familien wird gezielt Druck ausgeübt, um entweder ihre Anpassung an islamische Werte zu erzwingen oder sie zum Auswandern zu bewegen.

Gesellschaftliches Leben

Der christliche Glaube wird als etwas angesehen, das nicht zur traditionellen marokkanischen Identität gehört. Außerdem wird er als Glaube der Imperialisten stigmatisiert. Mit dieser Begründung überwachen marokkanische Sicherheitsdienste die Aktivitäten einheimischer und ausländischer Christen. Sie verbieten auch die Bildung von Gruppen, die sich offen als „christlich“ bezeichnen, weil sie Evangelisierung fürchten. Für Christen mit muslimischem Hintergrund ist es schwierig, ihre Kinder christlich zu erziehen. Dies liegt am gesellschaftlichen Druck: Kinder von christlichen Konvertiten werden beispielsweise in der Schule gemobbt oder erhalten Islamunterricht ohne die Zustimmung ihrer Eltern.

Leben im Staat

Politisch ist die Situation für Christen in Marokko schwierig, da die Verfassung den Islam zur Staatsreligion erklärt. Zivilgesellschaftliche Organisationen mit klaren christlichen Überzeugungen oder solche, die sich für die Rechte der einheimischen christlichen Konvertiten einsetzen, werden von der Regierung aktiv bekämpft. Das Evangelium weiterzugeben, ist verboten, und wer sich daran beteiligt, kann beschuldigt werden, „den Glauben von Muslimen zu erschüttern“, was strafbar ist.

Kirchliches Leben

Da christliche Aktivitäten als vermeintliche Missionierung ausgelegt werden könnten, ist es für christliche Gruppen und Gemeinden oft schwierig, zu wachsen und zu gedeihen. Die Kirchen ausländischer Christen werden konsequent überwacht, um sicherzustellen, dass keine marokkanischen Staatsangehörigen ihre Gottesdienste besuchen. Einheimischen Christen verbietet der Staat, eigene Kirchen zu gründen. Dies geht damit einher, dass die Regierung sich weigert, das Auslegen oder den Verkauf von Bibeln zuzulassen, da diese ihrer Meinung nach zur Missionierung verwendet werden.

Beispiele für das Auftreten von Gewalt

Auch im aktuellen Berichtszeitraum kam es zu Überwachung und Verhören von einheimischen Christen durch die marokkanische Polizei. Mehrere einheimische christliche Konvertiten wurden in aller Öffentlichkeit verhaftet und anschließend von der Polizei über ihre Aktivitäten befragt. Obwohl die Christen nicht strafrechtlich belangt wurden, haben diese öffentlichen Verhaftungen doch eine abschreckende Wirkung und tragen dazu bei, dass einheimische Christen in ihrem sozialen Umfeld noch stärker stigmatisiert werden. Die allgegenwärtige Überwachung zwingt viele einheimische Christen zur Selbstzensur.

Während des aktuellen Berichtszeitraums wurden mehrere Hauskirchen einheimischer Christen von der Polizei gezwungen, ihre Treffen einzustellen.

Mindestens drei Fälle von Zwangsehen wurden verzeichnet. Darüber hinaus wurden mehrere christliche Konvertiten muslimischer Herkunft, hauptsächlich junge Frauen, verschleppt und gegen ihren Willen an einem anderen Ort angesiedelt.

7. Entwicklung in den letzten 5 Jahren

Jahr

Platzierung

Punktzahl

2025

21

74

2024

24

71

2023

29

69

2022

27

69

2021

27

67

Auf dem Weltverfolgungsindex 2025 stieg die Gesamtpunktzahl für Marokko auf 74 Punkte an. Dies ist auf eine deutliche Zunahme des Wertes für Gewalt zurückzuführen, der von 5,4 Punkten im Vorjahr auf nun 8,3 Punkte gestiegen ist. Die wachsende Zahl der einheimischen Christen führt zu einer Zunahme von Verfolgungsfällen, insbesondere im Kontext von Hauskirchen. Dies schlägt sich in einem sehr hohen Wert für den durchschnittlichen Druck in den fünf Lebensbereichen sowie für Gewalt nieder.

8. Sind Frauen und Männer unterschiedlich von Verfolgung betroffen?

Frauen

Insbesondere in ländlichen Gebieten binden kulturelle Erwartungen Frauen an häusliche Pflichten. Christliche Konvertitinnen sind am stärksten von Verfolgung bedroht, besonders im häuslichen Bereich. Wenn ihr Glaubenswechsel bekannt wird, müssen sie damit rechnen, dass ihnen der Zugang zu ihren Kindern verwehrt wird und dass sie zu Hause eingesperrt, geschieden oder zwangsverheiratet werden. Der Zugang zu christlichen Materialien ist für sie äußerst schwierig. In ländlichen Gegenden müssen sich Christinnen an die religiösen Kleidungsvorschriften und Rituale halten. Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe sind ein Tabubereich, der mit der Familienehre in Verbindung steht. So werden diese zu einem wirksamen Instrument für religiösen Zwang, das in Marokko auch gegen Migrantinnen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara eingesetzt wird.

Männer

Auch bei den Männern sind es die Konvertiten, die in der marokkanischen Gesellschaft zu den Schwächsten gehören, da sie durch ihren Glaubenswechsel als Schande für ihre Familien angesehen werden. Im häuslichen Bereich ist damit zu rechnen, dass ein Konvertit von seiner Familie geächtet wird, ihm finanzielle Unterstützung und Erbschaften verweigert werden und er von seiner Frau verlassen wird. Wenn ein Konvertit noch unverheiratet ist, kann es vorkommen, dass seine Familie Druck auf ihn ausübt, eine muslimische Frau zu heiraten. Konvertitinnen sind jedoch häufiger von dem Problem der Zwangsheirat betroffen als männliche Konvertiten. Neben dem Druck im häuslichen Bereich können christliche Konvertiten auch im öffentlichen Bereich Druck erfahren, bis hin dazu, dass sie verhört, geschlagen oder inhaftiert werden. Wie stark diese Gegenreaktion auf den Glaubenswechsel des Konvertiten ausfällt, hängt von seiner sozialen und politischen Stellung ab. Druck im beruflichen Kontext ist eine der häufigsten Arten, wie christliche Konvertiten Verfolgung und Diskriminierung erfahren. Da Männer in der Regel die Hauptversorger der Familie sind, hat diese Art der Verfolgung weitreichende Auswirkungen. Auch im Bildungsbereich kommt es zu Diskriminierung.

9. Verfolgung anderer religiöser Gruppen

Das Judentum ist die einzige in der Verfassung offiziell anerkannte religiöse Minderheit, und jüdische Bürger haben ihre eigenen religiösen Gerichte für Familienangelegenheiten. Der Islam ist zwar die offizielle Staatsreligion, de facto ist aber nur der sunnitische Islam (gemäß der malikitischen Rechtsschule) gesellschaftlich anerkannt. Schiitische Muslime und Ahmadis sowie Bahai sind mit staatlichen Einschränkungen konfrontiert, die es ihnen fast unmöglich machen, ihren Glauben offen zu praktizieren. Atheisten und Atheismus werden sowohl von der Bevölkerung als auch der Regierung unterdrückt. Mehrere als Atheisten bekannte Bürger und andere Marokkaner, die sich öffentlich negativ über den Islam geäußert hatten, erhielten in den vergangenen Jahren Todesdrohungen und wurden von der Regierung schikaniert.

10. Gebetsanliegen

Bitte beten Sie für Marokko:

  • Beten Sie für Christen muslimischer Herkunft, die Hausarrest, körperliche Angriffe, Festnahmen und Inhaftierung riskieren. Bitten Sie Jesus Christus, ihre Herzen mit der Erkenntnis seiner Gegenwart und Liebe zu füllen.
  • Beten Sie, dass die Christen muslimischer Herkunft Gemeinschaft mit anderen Christen haben können, um sich gegenseitig zu ermutigen und gemeinsam im Glauben zu wachsen.
  • Beten Sie, dass die marokkanische Gesellschaft und Regierung offener werden gegenüber anderen Glaubensrichtungen als dem Islam, und dass Gemeinden mehr Freiheit bekommen, ihren Glauben öffentlich zu praktizieren.