Erfahren Sie mehr über den Weltverfolgungsindex – die Rangliste und der Bericht zu den 50 Ländern, in denen Christen die stärkste Verfolgung erleben.
Niger
Christenverfolgung im Niger
Berichtszeitraum: 1. Oktober 2023 – 30. September 2024
1. Überblick
Die Lage der Christen im Niger hat sich insbesondere nach dem Putsch vom Juli 2023 erheblich verschärft. Dieser Putsch hat unter Christen ein Gefühl der Angst ausgelöst. Islamistische Milizen machen das Leben der Christen im Land immer schwieriger. In den Gebieten, die von den Milizen kontrolliert werden, sind christliche Versammlungen nur sehr eingeschränkt möglich, und Gottesdienste können oft nur unter Bedrohung von Gewalt stattfinden. An den häufigen Angriffen gegen Christen beteiligen sich diese militanten Gruppen genauso wie an Entführungen. Dadurch beeinträchtigen sie die Freiheit und Sicherheit der Christen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle erheblich. Christliche Konvertiten muslimischer Herkunft stehen in ihren Familien weiterhin unter starkem Druck, ihren neuen Glauben zu widerrufen.
Länderprofil als PDF
Das nachfolgende Länderprofil ist ein übersetzter Auszug aus den ausführlichen Berichten von World Watch Research, der Forschungsabteilung von Open Doors. Dieses deutsche Länderprofil finden Sie hier auch als PDF zum Download. Die ausführlichen Berichte in englischer Originalfassung („Background Information“ und „Persecution Dynamics“) finden Sie am Ende dieser Seite.
2. Hintergrund
Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat der Niger eine bewegte politische Geschichte mit mindestens vier Militärputschen erlebt. Seit 2011 gab es vielversprechende Anzeichen für eine Demokratisierung des Landes mit verbesserter Pressefreiheit und friedlichen Versammlungen politischer und ziviler Gruppen. Denn der Niger kämpft gegen verschiedene islamistische Milizen wie „al-Sunnah Wa Jama’ah“ (ASWJ), „al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (AQIM), die „Mouvement pour l'unicité et le jihad en Afrique de l'Ouest“ („Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika“, MUJAO) an der nördlichen Westgrenze zu Mali, und Boko Haram an der südlichen Grenze zu Nigeria.
Die Mehrheit der nigrischen Bevölkerung praktiziert den Islam und gehört einem Sufi-Orden an, entweder dem Tidschaniya- oder dem Qadiriya-Orden. Die islamistischen Milizen versuchen jedoch, diese Sufi-Zusammenschlüsse zu zerschlagen und den Salafismus zu fördern.
Der christliche Glaube wurde größtenteils von amerikanischen Missionsorganisationen eingeführt. Besonders vertreten sind die traditionellen Kirchen der protestantischen und katholischen Konfession. Christen, insbesondere diejenigen, die vom Islam zum christlichen Glauben konvertiert sind, werden von den lokalen Gemeinschaften oft ausgegrenzt und manchmal auch gewaltsam angegriffen, vor allem in der Nähe der südlichen Landesgrenze. Christliche Frauen und Mädchen sind besonders von Entführung und sexualisierter Gewalt bedroht, während Jungen in der Gefahr stehen, von militanten Gruppen zwangsrekrutiert zu werden.
Die politische Landschaft veränderte sich im Juli 2023 mit einem erneuten Militärputsch auf dramatische Weise. Der Putsch droht, die Fortschritte hin zu einer Mehrparteiendemokratie zunichtezumachen und die bereits grassierende dschihadistische Gewalt weiter eskalieren zu lassen. So wirft diese Entwicklung einen dunklen Schatten auf die Zukunft der Religionsfreiheit im Niger. Der Niger trat im Jahr 2023 aus der sogenannten „G5 Sahel“ aus, und Anfang 2024 hat sich das Land auch aus der „Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (ECOWAS) zurückgezogen.
Weltanschauungen |
Anhänger |
% |
Christen |
69.200 |
0,2 |
Muslime |
27.011.000 |
95,7 |
Anhänger ethnischer Religionen |
1.126.000 |
4,0 |
Bahai |
10.200 |
< 0,1 |
Atheisten |
140 |
< 0,1 |
Agnostiker |
16.100 |
0,1 |
Andere |
6.900 |
< 0,1 |
3. Gibt es regionale Unterschiede?
In Gebieten außerhalb der großen Städte, insbesondere außerhalb der Hauptstadt Niamey, werden Christen am stärksten verfolgt.
4. Was sind die stärksten Triebkräfte der Verfolgung?
Islamische Unterdrückung, gemischt mit Unterdrückung durch den Clan oder Stamm
Den Islam zu verlassen, wird als Verrat betrachtet. Das führt dazu, dass insbesondere christliche Konvertiten mit Anfeindungen seitens ihrer muslimischen Familien und der örtlichen Gemeinschaften rechnen müssen, wenn ihr Glaube entdeckt wird. Der Staat hat seit jeher einen säkularen Charakter, das bedeutet, dass Staat und Religion getrennt sein sollen. Doch diese Trennung gerät zunehmend ins Wanken. Muslimische Religionsführer der „Izala-Bewegung“, einer islamisch-extremistischen Gruppierung aus Nordnigeria, sind im Niger aktiv und bedrohen die Freiheit der Christen. Ähnliche Interessen verfolgen islamische Gruppierungen, die in bestimmten Teilen des Landes tätig sind, etwa in der Stadt Maradi oder der Hauptstadt Niamey, beispielsweise die Sufi-Bruderschaft „Tariqa“ (Arabisch für „der Weg“ beziehungsweise für die Art und Weise, wie sich Sufis Allah zu nähern suchen). Anhänger von Izala und Tariqa üben Druck auf religiöse Minderheiten sowie auf Muslime aus, die in ihren Augen vom Islam abweichen. Zwischen der muslimischen Mehrheit und den deutlich kleineren Minderheitsreligionen herrschen im Niger traditionell gute Beziehungen. Gleichwohl hat der Kampf des Landes gegen Boko Haram auf lokaler Ebene zu Spannungen zwischen den örtlichen Gemeinschaften geführt und die Sicherheit und Freiheit der Christen im Land untergraben.
Organisiertes Verbrechen und Korruption
Der frühere Präsident Mahamadou Issoufou erklärte in seiner Amtszeit die Korruptionsbekämpfung innerhalb der Regierung zu einer seiner Prioritäten. Inzwischen sind Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung Bestandteil der Rechtsordnung geworden. Sie zielen auf Regierungsbeamte, ihre Familienangehörigen und alle politischen Parteien ab. Ebenso gibt es jetzt Gesetze zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei der Auftragsvergabe; die Bestechung von Amtsträgern durch private Unternehmen ist nun offiziell illegal. In der Justiz bleibt Korruption jedoch ein Problem. Straffreiheit ist eine ernste Herausforderung für das Land; Amtsträger, die gegen das Gesetz verstoßen und sich an korrupten Praktiken beteiligen, ziehen sich zwar den Unmut der Öffentlichkeit zu, werden aber nicht angemessen strafrechtlich verfolgt. Das wirkt sich negativ auf die Gesellschaft aus, auch auf die christliche Bevölkerung.
Eine vollständige Übersicht aller im Land wirksamen Triebkräfte finden Sie im ungekürzten, englischen Dokument „Persecution Dynamics“.
5. Welche Christen sind von Verfolgung betroffen?
Ausländische Christen und Arbeitsmigranten
Ausländische Christen und Missionare sind besonders gefährdet und von Entführungen bedroht.
Christen aus traditionellen Kirchen
Zu dieser Gruppe gehören sowohl evangelische als auch katholische Christen. Sie leiden unter der zunehmenden Gewalt durch islamistische Milizen im Niger. In den vergangenen Jahren wurden sie von bewaffneten Gruppen wie Boko Haram in den Departements der Region Diffa nahe der Grenze zu Nigeria angegriffen. Pastoren und Gemeindeleiter aus den betroffenen Dörfern sahen sich gezwungen, in größere Städte zu fliehen, da sie um ihre Sicherheit fürchteten. Auch im Departement Tillabéri wurde dies beobachtet. Viele Christen traditioneller Kirchen im Grenzgebiet zu Nigeria leben in Angst vor gewaltsamen Übergriffen.
Christen anderer religiöser Herkunft (Konvertiten)
In einigen Fällen ist der Druck auf christliche Konvertiten, die den Islam verlassen haben, besonders ausgeprägt – vor allem in den Bereichen Privatleben, Familienleben und gesellschaftliches Leben. Konvertiten erfahren wegen ihres Glaubenswechsels von Eltern und Verwandten mitunter stärkeren Widerstand als von der Regierung. Extremistische Imame und muslimische Lehrer wiegeln die muslimische Bevölkerung dahingehend auf, dass sie christliche Konvertiten sowie diejenigen Christen, die sie unterstützen, angreifen und verjagen.
Christen aus protestantischen Freikirchen
Im Niger gibt es es baptistische, evangelikale und pfingstkirchliche Gruppen. Sie alle stehen unter ähnlichem Druck wie Christen aus traditionellen Kirchen. Im Vergleich zu christlichen Konvertiten aus dem Islam trifft sie der gesellschaftliche Druck jedoch weniger hart.
6. Wie erfahren Christen Druck und Gewalt?
Betroffene Lebensbereiche und Auftreten von Gewalt
Privatleben
Im Niger wird Religion vom Staat als Privatangelegenheit angesehen. Die Trennung von Religion und Staat wird jedoch zunehmend infrage gestellt vonseiten islamistischer Gruppen wie der Izala-Bewegung; sie lehnen den säkularen Charakter des Staates und der Regierung ab. Dies wirkt sich nachteilig auf die Christen im Niger aus, da die Region bereits stark unter dem Einfluss der Aktivitäten von Boko Haram und AQIM steht.
Familienleben
Christliche Konvertiten sind mitunter extremer Feindseligkeit seitens ihrer Familien und ihres sozialen Umfelds ausgesetzt. Ihnen drohen die Zwangsscheidung oder – bei Frauen – die Zwangsheirat mit einem muslimischen Mann oder Vergewaltigung. Außerdem wird ihnen oftmals das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen oder verweigert, da laut Gesetz zum christlichen Glauben konvertierte Eltern zwar das Sorgerecht für ihre Kinder beantragen dürfen, sie in der Praxis damit jedoch keinen Erfolg haben. Vielen Konvertiten wird außerdem ihr Erbrecht verweigert, weil sie sich dem christlichen Glauben zugewandt haben. Christen, die keine Konvertiten sind, werden nicht in dieser Weise verfolgt und können ihren Glauben im privaten Kontext praktizieren.
Gesellschaftliches Leben
Christliche Konvertiten muslimischer Herkunft werden von ihrem sozialen Umfeld als Ausgestoßene behandelt und sind zuweilen gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. In den von den Islamisten kontrollierten Grenzregionen werden Christen daran gehindert, christliche Hochzeiten zu feiern. Im öffentlichen Sektor erfahren Christen keine Gleichbehandlung. Es ist ihnen nur selten möglich, eine Anstellung bei kommunalen Verwaltungsbehörden zu finden, und eine Beförderung wird ihnen häufig verweigert. Männliche Christen müssen damit rechnen, aufgrund ihres Glaubens entlassen zu werden; christliche Ladeninhaber werden häufig von Muslimen boykottiert.
Leben im Staat
Die Angriffe von Boko Haram, Ablegern des sogenannten „Islamischen Staates“ und anderen islamisch-extremistischen Gruppen lösen unter den Christen nach wie vor Angst aus. Die christliche Gemeinschaft ist nachhaltig durch die schwierige Sicherheitslage im Land beeinträchtigt. Da die Dschihadisten nicht nur Organe der Staatsgewalt, sondern auch Christen ins Visier nehmen, müssen diese darauf achten, möglichst nicht aufzufallen. Viele Christen, die vor den Angriffen fliehen, leben in Flüchtlingslagern in Bosso und Yebbi im Niger oder jenseits der südlichen Grenze in Maiduguri und Yola in Nigeria. Auch die Gewalt im sozialen Umfeld hält an.
Kirchliches Leben
Bei gemeinsamen Gottesdiensten und Versammlungen von Christen ist wegen der drohenden Gewalt durch islamistische Milizen große Vorsicht geboten. Gelegentlich wurden Christen auch schlicht daran gehindert, sich zu versammeln. Das Registrierungsverfahren für Kirchen ist sehr kompliziert und langwierig. Diesen Druck spüren vor allem die Gemeinden in den westlichen und südlichen Grenzgebieten.
Beispiele für das Auftreten von Gewalt
Im Januar 2024 töteten Dschihadisten mehr als 20 Zivilisten in dem Dorf Moto Gatta im Departement Tillabéri in der Nähe der Grenze zu Mali und Burkina Faso. Unter den Opfern waren mindestens elf Christen.
Im Juli 2024 töteten Dschihadisten sieben Zivilisten in dem Dorf Koygorou, das zur Stadtgemeinde Dosso gehört. Unter den Opfern waren mindestens drei Christen.
7. Entwicklung in den letzten 5 Jahren
Jahr |
Platzierung |
Punktzahl |
2025 |
28 |
72 |
2024 |
27 |
70 |
2023 |
28 |
70 |
2022 |
33 |
68 |
2021 |
54 |
62 |
Die Gesamtpunktzahl für den Niger hat sich im Vergleich zum Vorjahr um zwei Punkte erhöht. Der durchschnittliche Druck über alle Lebensbereiche hinweg ist von 10,9 auf 11,2 Punkte gestiegen. Der Wert für die Gewalt ist von 15,9 Punkten im Vorjahr auf nun 15,7 Punkte leicht gesunken, er hat aber weiterhin ein extrem hohes Ausmaß. Die gezielten Angriffe auf christliche Einrichtungen – darunter Schulen, Gesundheitseinrichtungen und andere Gebäude – halten unvermindert an. Mindestens 100 Kirchen wurden angegriffen, und über 100 Christen haben während des aktuellen Berichtszeitraums ihr Leben verloren. Die landestypischen Herausforderungen verschärfen sich noch durch die allgemeine Unsicherheit in der Sahelzone, wo dschihadistische Gruppen und kriminelle Organisationen immer mehr Einfluss gewinnen.
8. Sind Frauen und Männer unterschiedlich von Verfolgung betroffen?
Frauen
Wie in vielen anderen Ländern der Sahelzone sind Frauen und Mädchen bedroht von Entführungen, Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch durch islamisch-extremistische und andere Gruppen. Ihre Familien melden Vergewaltigungen oft nicht, weil diese mit Stigma und Scham verbunden sind und die Familien befürchten, dass dies die Heiratsaussichten der Frau beeinträchtigen könnte. Christliche Konvertitinnen sind zudem extremen Anfeindungen seitens ihrer Familien und ihres sozialen Umfelds ausgesetzt. Ihnen drohen Zwangsheirat mit einem Muslim und Vergewaltigung. Außerdem wird ihnen oftmals das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen oder verweigert. Vielen Konvertiten wird außerdem ihr Erbrecht verweigert, weil sie sich dem christlichen Glauben zugewandt haben.
Männer
Männliche christliche Konvertiten stehen in der Gefahr, von ihren Familien verstoßen, aus ihrem Elternhaus vertrieben oder unter Hausarrest gestellt zu werden. Männliche Christen müssen damit rechnen, aufgrund ihres Glaubens ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder, wenn sie einen Laden oder ein Geschäft betreiben, von Muslimen boykottiert zu werden. Die damit verbundenen finanziellen Konsequenzen gefährden die gesamte Familie. Vor allem Jungen stehen in der Gefahr, entführt und von militanten Gruppen zwangsrekrutiert zu werden, wobei allerdings unklar ist, inwieweit dies Christen besonders betrifft. Außerdem wurden christliche Männer und Jungen von islamisch-extremistischen Gruppen ermordet. Ein Anstieg der Angriffe durch bewaffnete islamistische Milizen hat viele, insbesondere Gemeindeleiter und Pastoren, zur Flucht gezwungen.
9. Verfolgung anderer religiöser Gruppen
Zeugen Jehovas und Bahai, die vor allem in den großen Städten vertreten sind, sind der Gewalt islamisch-extremistischer Gruppen ausgesetzt. Sie müssen vorsichtig sein, um nicht Aufmerksamkeit und Verfolgung auf sich zu ziehen.
10. Gebetsanliegen
Bitte beten Sie für den Niger:
- Bitten Sie für die Heilung von Christen, die durch die Gewalt schwer traumatisiert wurden.
- Beten Sie um Kraft und Weisheit für die christlichen Konvertiten im Umgang mit den Anfeindungen aus ihrem muslimischen Umfeld.
- Beten Sie, dass sich nach dem Putsch die politischen Verhältnisse stabilisieren und dass eine demokratische Regierung gebildet wird, die für Frieden und Sicherheit im Land sorgt.