Erfahren Sie mehr über den Weltverfolgungsindex – die Rangliste und der Bericht zu den 50 Ländern, in denen Christen die stärkste Verfolgung erleben.
Afghanistan
Christenverfolgung in Afghanistan
Berichtszeitraum: 1. Oktober 2023 – 30. September 2024
1. Überblick
Fast alle afghanischen Christen sind Konvertiten aus dem Islam und haben somit einen muslimischen Hintergrund. Sie können ihren Glauben nicht offen praktizieren. Sich vom Islam abzuwenden, wird als Schande angesehen und nach geltendem islamischem Recht mit dem Tod bestraft. Wenn der Glaube von christlichen Konvertiten entdeckt wird, müssen sie aus dem Land fliehen. Die Familie, der Clan oder der Stamm müssen „ihre Ehre wiederherstellen“, indem sie gegen Konvertiten vorgehen. Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 sind viele Christen untergetaucht oder haben versucht, das Land zu verlassen. Der Machtwechsel hat die Situation für Christen verschlechtert, aber auch für alle Frauen, da diese nun wieder in ihren Wohnungen festsitzen.
Länderprofil als PDF
Das nachfolgende Länderprofil ist ein übersetzter Auszug aus den ausführlichen Berichten von World Watch Research, der Forschungsabteilung von Open Doors. Dieses deutsche Länderprofil finden Sie hier auch als PDF zum Download. Die ausführlichen Berichte in englischer Originalfassung („Background Information“ und „Persecution Dynamics“) finden Sie am Ende dieser Seite.
2. Hintergrund
Afghanistan hat seit mehr als 40 Jahren keinen Frieden mehr erlebt. Dies hat die Infrastruktur, die Wirtschaft und das soziale Gefüge in Trümmer gelegt. Eine weitverbreitete islamische Radikalisierung, kriminelle Aktivitäten und Korruption sind die Folge. Von 1996 bis 2001 beherrschten die Taliban etwa drei Viertel des Landes. Im August 2021 übernahmen sie erneut die Macht und führten wieder eine strikte Auslegung des Islam ein. Dazu gehört, Mädchen den Besuch einer Sekundarschule zu verbieten. Die meisten Menschen, selbst die wohlhabenderen, kämpfen mit den Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Das hat viele Bauern dazu veranlasst, sich auf illegale Drogen wie Opium als Einkommensquelle zu stützen. Die Taliban haben jedoch den gesamten Schlafmohnanbau durch strenge neue Gesetze verboten. Wie die Non-Profit-Forschungsorganisation „Afghanistan Analyst Network“ am 14. März 2024 berichtete, werden die Auswirkungen des Verbots allmählich deutlicher spürbar und die Opiumlager leeren sich.
Ein Sprecher der Taliban leugnete schlichtweg die Existenz von Christen in Afghanistan, als er vom Rundfunksender „Voice of America“ im Mai 2022 danach gefragt wurde. Dies ist der offizielle Standpunkt der Taliban. Die kleinen Gruppen von Christen im Land mussten sich an die neuen Umstände anpassen, indem sie entweder innerhalb des Landes umsiedelten, aus Sicherheitsgründen ins Ausland flohen oder versuchten unterzutauchen. Da die Taliban weitgehend unangefochten an der Macht sind und eine strenge Version der islamischen Scharia umsetzen, gibt es für Christen keinen Platz in der Gesellschaft. Zudem dürften Christen auch von etwaigen internen Machtkämpfen zwischen den verschiedenen Taliban-Fraktionen betroffen sein sowie vom Kampf der Taliban gegen den „Islamischen Staat in der Provinz Khorasan“ (ISKP).
Interessengruppen, die sich für die soziale Entwicklung oder für Frauen-, Minderheiten- oder Menschenrechte einsetzen, können kaum etwas ausrichten, um die politische Lage des Landes zu beeinflussen; sie werden mitunter sogar selbst zum Ziel von Angriffen. Gruppen, die sich für Rechtsstaatlichkeit und politische Partizipation einsetzen oder auf die Rechenschaftspflicht der Regierung drängen, werden schnell verdächtigt, Agenten der internationalen Gemeinschaft zu sein und die Agenda des Westens zu unterstützen. Sie werden oft als „Ungläubige“ bezeichnet. Dies scheint auch für westliche Nichtregierungsorganisationen zu gelten, die in dem Land tätig sind, einschließlich der wenigen christlichen Organisationen. Die Taliban haben gezielt Bürger getötet, die sie als „Kollaborateure“ mit der alten Regierung oder als „Militante“ bezeichneten.
Die internationale Isolation Afghanistans hält an. China erkennt die Taliban zwar immer noch nicht als rechtmäßige Regierung Afghanistans an, hat aber die Wahl des Taliban-Botschafters in Peking akzeptiert und sein Beglaubigungsschreiben entgegengenommen. Auch Indien verbessert seine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban, hat aber noch keine vollständige offizielle Anerkennung ausgesprochen. Am 30. Juni und 1. Juli 2024 nahm eine afghanische Taliban-Delegation an einer Konferenz der Vereinten Nationen in Doha, Katar, teil; ihre erste Teilnahme am Doha-Aktionsprogramm für die am wenigsten entwickelten Länder für das Jahrzehnt 2022–2031. Es war auch das erste Mal, dass die Vereinten Nationen den Forderungen der Taliban zustimmten, nämlich, dass sie als alleinige Stimme und legitime Regierung Afghanistans angesehen werden sollen.
Inzwischen gibt es Anzeichen dafür, dass viele der von den Taliban in den 1990er-Jahren verfolgten Vorschriften jetzt wieder auftauchen. Eines der jüngsten Beispiele ist das Edikt, das die Wiedereinführung der Steinigung von Frauen als rechtliche Bestrafung anordnet, wie der Guardian am 28. März 2024 berichtete. Weil immer weniger internationale Hilfe in Afghanistan ankommt, mussten mehrere Krankenhäuser geschlossen werden; die UNO hat ihre Programme zweimal gekürzt, was zu einer katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage geführt hat.
3. Gibt es regionale Unterschiede?
Im Allgemeinen ist die Kontrolle und Überwachung in ländlichen Gebieten strenger als in den meisten Städten. In Städten wie Kabul ist jedoch eine deutliche Zunahme der Videoüberwachung zu verzeichnen. Das ganze Land ist streng islamisch, sodass Christen überall auf große Schwierigkeiten stoßen.
4. Was sind die stärksten Triebkräfte der Verfolgung?
Islamische Unterdrückung, gemischt mit diktatorischer Paranoia
Afghanistan erkennt eine Hinwendung zum christlichen Glauben nicht an; sie wird als Apostasie (Abfall vom Islam als wahrem Glauben) angesehen, die Schande über die Familie und die islamische Gemeinschaft bringt. Christen muslimischer Herkunft verbergen ihren Glauben aus Angst vor Gewalt durch muslimische Religionsführer, lokale Behörden oder Familienangehörige. Die Taliban legen großen Wert auf einen häufigen und regelmäßigen Besuch der Moschee. Die extreme Gewalt, die von IS-nahen Gruppen (zum Beispiel ISKP) ausgeht, hat zur Folge, dass eine beträchtliche Zahl von Menschen bei Angriffen getötet oder vertrieben worden sind.
Unterdrückung durch den Clan oder Stamm, gemischt mit ethnisch-religiöser Feindseligkeit
In Afghanistan ist der Familienverband kollektivistisch geprägt. Das lässt wenig Raum für Privatsphäre und bedeutet, dass für Christen muslimischer Herkunft die Gefahr groß ist, entdeckt zu werden. Eine Abwendung vom Islam wird als Bedrohung für die überwiegend islamische Identität des Landes angesehen. Deshalb wird großer Druck ausgeübt, um sicherzustellen, dass die betreffende Person zu den traditionellen Normen zurückkehrt. Besonders der christliche Glaube wird als westlich angesehen und als feindlich gegenüber der afghanischen Kultur und Gesellschaft sowie dem Islam eingestuft.
Organisiertes Verbrechen und Korruption
80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stammen aus der Schattenwirtschaft. Korruption und Kriminalität sind allgegenwärtig. Der Mohnanbau zur Herstellung illegaler Drogen wie Opium ist viel lukrativer als der Anbau praktisch jeder anderen Kulturpflanze. Die Einkünfte aus dem Mohnanbau finanzieren bewaffnete Milizen und fördern die Korruption. Von den Folgen und Nachteilen, die daraus entstehen, sind insbesondere Christen betroffen, da sie zumeist der einkommensschwachen Mehrheit der Bevölkerung angehören.
Eine vollständige Übersicht aller im Land wirksamen Triebkräfte finden Sie im ungekürzten, englischen Dokument „Persecution Dynamics“.
5. Welche Christen sind von Verfolgung betroffen?
Ausländische Christen und Arbeitsmigranten
Nichtregierungsorganisationen haben begonnen, ihre Mitarbeiter wieder nach Afghanistan zu entsenden. Da sich die Sicherheitslage einigermaßen verbessert hat, sind ausländische Arbeitskräfte nicht mehr auf hochgesicherte Gelände beschränkt. Allerdings ist es für ausländische Christen in Afghanistan unmöglich, mit anderen Christen zusammenzukommen, sodass sie weiterhin unfreiwillig isoliert bleiben.
Christen anderer religiöser Herkunft (Konvertiten)
Christen muslimischer Herkunft geben sich größte Mühe, dass ihr Glaubenswechsel nicht von ihrer Familie oder ihrem sozialen Umfeld entdeckt wird, denn das würde ihr Leben in Gefahr bringen.
6. Wie erfahren Christen Druck und Gewalt?
Betroffene Lebensbereiche und Auftreten von Gewalt
Privatleben
In der eng verbundenen Stammesgesellschaft ist die gesellschaftliche Kontrolle stark, und Christen muslimischer Herkunft laufen Gefahr, entdeckt zu werden. Noch bevor die Taliban die Kontrolle über das ganze Land erlangten, führten sie Handykontrollen in den von ihnen beherrschten Regionen durch. Daraufhin entledigten sich viele Christen muslimischer Herkunft ihrer Mobilgeräte; außerdem zogen sie in andere Gebiete, um sich zu verstecken.
Familienleben
Schon der Verdacht, sich vom Islam abgewandt zu haben, kann zu schwerwiegenden Konsequenzen wie Verhaftung oder Zerstörung der Wohnung führen. Ehepartner werden massiv dazu gedrängt, sich von einem christlichen Partner oder einer christlichen Partnerin scheiden zu lassen oder – weil Scheidung unüblich ist – die Ehe zu annullieren. Da die Taliban-Regierung verlangt, dass Kinder als Muslime erzogen werden, droht Eltern der Verlust des Sorgerechts für ihre Kinder, wenn sie den Eindruck erwecken, den Islam nicht angemessen zu praktizieren. Dieses Risiko ist besonders für Christen muslimischer Herkunft hoch.
Gesellschaftliches Leben
Christen muslimischer Herkunft haben keine andere Wahl, als so zu tun, als seien sie weiterhin Muslime – das bedeutet, die Kleiderordnung zu befolgen, die Moschee zu besuchen oder sich einen Bart wachsen zu lassen. Wenn eine Christin sich entscheidet, kein Kopftuch zu tragen, erregt sie unerwünschte Aufmerksamkeit. Die örtliche Gemeinschaft wird sie dazu drängen, sich zu verschleiern. Viele christliche Konvertiten verlassen das Land, wenn sie können.
Leben im Staat
Die von den Taliban nun außer Kraft gesetzte Verfassung hatte festgelegt, dass Angehörige anderer Religionen ihren Glauben frei ausüben können. In Artikel 3 heißt es jedoch, dass kein Gesetz gegen die Lehren des Islam verstoßen darf, was zu Einschränkungen in vielen Bereichen geführt hatte. Ein Glaubenswechsel wurde als Blasphemie angesehen. Dies gilt auch unter der Taliban-Herrschaft, da das Regime die Scharia anwendet. Unter den Taliban werden nun alle Reisen von Personen, die im Verdacht stehen, Christen zu sein, überwacht und häufig behindert, wenn die Behörden vermuten, dass eine Reise aus religiösen Gründen unternommen wird. Die Taliban sind für ihre häufigen Razzien bekannt.
Kirchliches Leben
Alle christlichen Treffen finden im Untergrund und im Geheimen statt. Sie sehen zum Beispiel einfach so aus, als würden sich einige Menschen zum Essen treffen. Christliche Materialien werden versteckt, und die Weitergabe selbst auf elektronischem Wege kann lebensbedrohliche Folgen haben, wenn sie zurückverfolgt wird. Wie ein Forscher von Open Doors sagte: „Jeder, der christliche Materialien besitzt, insbesondere die Bibel, erhält eine harte Bestrafung bis hin zum Tod. Selbstverständlich werden auch Nachforschungen angestellt, um herauszufinden, woher diese Materialien stammen.“
Beispiele für das Auftreten von Gewalt
Aus Sicherheitsgründen können keine Details veröffentlicht werden.
7. Entwicklung in den letzten 5 Jahren
Jahr |
Platzierung |
Punktzahl |
2025 |
10 |
85 |
2024 |
10 |
84 |
2023 |
9 |
84 |
2022 |
1 |
98 |
2021 |
2 |
94 |
Die Gesamtsituation für die Christen hat sich gegenüber dem Vorjahr nicht wesentlich verändert – sie ist sehr düster. Der durchschnittliche Druck ist sehr leicht angestiegen, was vor allem auf einen Anstieg des Drucks im Bereich des gesellschaftlichen Lebens zurückzuführen ist. Die Punktzahl für Gewalt stieg ebenfalls um 0,4. Dieser Anstieg ist darauf zurückzuführen, dass im Berichtszeitraum zum Weltverfolgungsindex 2025 drei Tötungen von Christen bekannt geworden sind, während es 2024 zwei waren. Da es jedoch sehr schwierig ist, verifizierte Berichte über aus religiösen Gründen getötete Christen und Angriffe auf Kirchen zu erhalten, ist die Punktzahl für Gewalt weiterhin relativ niedrig. Da die Kirche stark untergetaucht ist, gibt es weniger sichtbare Ausdrucksformen des christlichen Glaubens, gegen die die Taliban-Behörden vorgehen könnten, so dass die Möglichkeiten der Behörden, die Kirche zu „zerschlagen“, begrenzt sind.
8. Sind Frauen und Männer unterschiedlich von Verfolgung betroffen?
Frauen
Als im Jahr 2021 die Taliban die Kontrolle über ganz Afghanistan erlangten, nahmen damit die Fortschritte bei der rechtlichen Situation der Frauen ein Ende. Frauen werden schon seit langem als Bürger zweiter Klasse angesehen, aber unter der Herrschaft der Taliban sind sie zusätzlichem Druck ausgesetzt. Der Abwärtstrend bei den Rechten der Frauen spiegelt sich darin wider, dass der Schulbesuch von Mädchen eingeschränkt ist und Frauen vom Arbeitsleben ausgeschlossen sind. Wenn eine Frau zum christlichen Glauben konvertiert, hält sie es im Normalfall geheim, denn sie würde damit körperliche Misshandlungen, Hausarrest, Zwangsheirat und Vergewaltigung riskieren. Aufgrund der Schamkultur und der rechtlichen Benachteiligung von Frauen ist es unwahrscheinlich, dass Christinnen Missbrauch anzeigen.
Männer
Männer werden von den Taliban unter Druck gesetzt zu beweisen, dass sie gute muslimische Familienoberhäupter sind: Sie sollen fünfmal am Tag beten, die Moschee besuchen, fasten und einen „richtigen“ Bart tragen. Männer, die Christen sind oder auch nur unter dem Verdacht stehen, den christlichen Glauben angenommen zu haben oder Interesse dafür zu zeigen, werden verspottet, inhaftiert, gefoltert, sexuell missbraucht und oftmals sogar getötet. Wenn sie verheiratet sind, ist es wahrscheinlich, dass christlichen Konvertiten ihre Frauen und Kinder weggenommen werden, sie aus ihrem Zuhause vertrieben, in psychiatrische Anstalten eingewiesen oder ins Gefängnis gesperrt werden. Angesichts dieses Drucks entscheiden sich christliche Männer dafür, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Manche wählen deshalb bewusst niedrige Positionen am Arbeitsplatz, um unerwünschte Aufmerksamkeit zu vermeiden.
9. Verfolgung anderer religiöser Gruppen
Die wenigen Sikhs, Hindus und Bahai in Afghanistan haben kaum mehr Freiheiten als die Christen. Ihr einziger Vorteil gegenüber Christen ist, dass sie anders als diese nicht als westlich und fremd wahrgenommen werden.
Laut dem Bericht zur internationalen Religionsfreiheit des US-Außenministeriums von 2023 berichteten religiöse Minderheiten in Afghanistan von einer diskriminierenden Behandlung durch die Taliban und befürchteten ungerechte Urteile, sollten sie ihre Rechtsfälle vor Gericht bringen, da die Richter von den Taliban ernannt worden sind. In allen Schulen des Landes, auch in Privatschulen, ist der Unterricht der schiitischen Rechtslehre durch die Taliban verboten.
9. Gebetsanliegen
Bitte beten Sie für Afghanistan:
- Beten Sie für Christen muslimischer Herkunft um Schutz vor Entdeckung und Gewalt durch die Taliban.
- Beten Sie, dass die Anführer der Taliban beginnen, Menschenleben zu achten und zu bewahren. Beten Sie, dass Jesus ihnen begegnet, sie zu ihm umkehren und den Hass loslassen.
- Beten Sie für die Christen, die innerhalb des Landes oder ins Ausland geflohen sind, um Schutz, Versorgung und Gottes Leitung.
- Beten Sie für eine bessere Versorgung der Bevölkerung angesichts von Hunger und Naturkatastrophen. Viele Afghanen sind hoffnungslos – beten Sie, dass viele in Jesus neues Leben finden.