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Libyen
Christenverfolgung in Libyen
Berichtszeitraum: 1. Oktober 2022 – 30. September 2023
Überblick
Das Fehlen einer Zentralregierung, die Recht und Ordnung im Land durchsetzt, hat zu einer gefährlichen Lage für Christen geführt. Das Ausmaß der Gewalt gegen Christen in Libyen wird im Weltverfolgungsindex 2024 als „sehr hoch“ eingestuft. Auf libysche Christen muslimischer Herkunft wird seitens ihrer Familie und des sozialen Umfelds intensiver Druck ausgeübt, ihrem neuen Glauben abzuschwören. Die meisten praktizieren ihren Glauben nur im Geheimen. Ausländische Christen aus anderen Teilen des afrikanischen Kontinents stehen im Visier verschiedener militanter islamischer sowie organisierter krimineller Gruppen. Diese Christen stehen in der Gefahr, entführt und teilweise brutal getötet zu werden.
Länderprofil als PDF
Das folgende Länderprofil ist ein übersetzter Auszug aus dem Country Dossier von World Watch Research, der Forschungsabteilung von Open Doors. Das vollständige Dossier auf Englisch sowie das gekürzte Länderprofil auf Deutsch (beides als PDF) finden Sie hier zum Download.
1. Hintergrund
Seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 leidet das Land unter einem hohen Maß an Gesetzlosigkeit. Außerdem ist Libyen seitdem unter mehreren Gruppierungen aufgeteilt: Die von den Vereinten Nationen anerkannte und größtenteils von islamistischen Gruppierungen unterstützte Regierung im Westen des Landes rund um die Hauptstadt Tripolis befindet sich im Konflikt mit einer rivalisierenden Regierung im Osten des Landes, die von Feldmarschall Chalifa Haftar und seinen Truppen unterstützt wird. Beide Fraktionen werden von ausländischen Geldgebern unterstützt, die nach Einfluss streben.
Praktisch alle Muslime in Libyen gehören dem sunnitischen Islam an, mit Ausnahme einiger Ibadi-Muslime, die zur ethnischen Minderheit der Amazigh (Berber) gehören. Unter den Migranten aus Ägypten und Subsahara-Afrika gibt es eine erhebliche Anzahl von Christen. Die Zahl der libyschen Christen mit muslimischem Hintergrund ist nach wie vor sehr gering. Durch ihre Familie und das soziale Umfeld werden diese Christen gewaltsam unter Druck gesetzt, ihrem neuen Glauben abzuschwören.
Bevor al-Gaddafi 2011 gestürzt wurde, lebten und arbeiteten viele koptische Christen aus Ägypten im Land. Seit dem Sturz al-Gaddafis sind die meisten ausländischen Christen jedoch in ihre Heimatländer zurückgekehrt, insbesondere nach der Enthauptung von 21 koptischen Christen im Februar 2015 und der Ermordung von 30 äthiopischen Christen im April 2015 durch Kämpfer des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS).
Die verfassungsrechtliche Übergangserklärung von 2011 und der Verfassungsentwurf von 2017 erklären den Islam zur Staatsreligion und die Scharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung. Das Risiko körperlicher Übergriffe, einschließlich Entführungen, Folter, rechtswidriger Tötung sowie sexueller Übergriffe und Vergewaltigungen, ist für Christen hoch. Christliche Migranten und Flüchtlinge in Libyen werden außerdem von ihren Arbeitgebern und kriminellen Gruppen sowie durch ihre Mitgefangenen in den Internierungslagern für Flüchtlinge diskriminiert.
Weltanschauungen | Anhänger | % |
Christen | 35.100 | 0,5 |
Muslime | 7.046.000 | 99,0 |
Hindus | 6.700 | 0,1 |
Buddhisten | 20.200 | 0,3 |
Anhänger ethnischer Religionen | 570 | < 0,1 |
Juden | 130 | < 0,1 |
Bahai | 750 | < 0,1 |
Atheisten | 360 | < 0,1 |
Agnostiker | 3.600 | 0,1 |
Andere | 4.800 | 0,1 |
2. Gibt es regionale Unterschiede?
Christen sind überall im Land gefährdet, aber besonders in Gebieten, in denen islamisch-extremistische Gruppen aktiv sind. Dies gilt insbesondere für die Region um Sirte, aber auch in Städten wie Bengasi im Osten und der Hauptstadt Tripolis im Westen.
3. Was sind die stärksten Triebkräfte der Verfolgung?
Islamische Unterdrückung
Der Islam ist tief in der libyschen Kultur verwurzelt. Deshalb erleben Muslime, die sich dem christlichen Glauben zuwenden, immensen Druck seitens ihrer Familien und der Gesellschaft. Nach dem Sturz al-Gaddafis haben verschiedenste islamisch-extremistische Gruppen an Einfluss und Kontrolle in der Gesellschaft gewonnen. Auf lokaler Ebene sind Imame und Scheichs dafür bekannt, zum Hass gegen Christen anzustiften, besonders gegen Migranten und Konvertiten. Auf nationaler Ebene üben zur islamistischen Strömung des Madchalismus gehörende Gelehrte ihren Einfluss über Satellitenfernsehen und über das Internet aus. Die Scharia wird im ganzen Land angewendet. Zusammengenommen haben diese Faktoren zu einem starken Anstieg der Gewalt gegen Christen im letzten Jahrzehnt geführt.
Unterdrückung durch den Clan oder Stamm
Die Gesellschaft Libyens ist konservativ und von Stammesdenken geprägt. Den Islam zu verlassen und den christlichen Glauben anzunehmen, wird nicht nur als Verrat am Islam, sondern auch an der Familie und dem Stamm betrachtet. Zudem werden aus ethnischen und rassistischen Gründen Migranten aus Ländern südlich der Sahara besonders heftig diskriminiert.
Organisiertes Verbrechen und Korruption
Korruption ist weitverbreitet und wird durch mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Straffreiheit noch verschärft. Diese Triebkraft ist eng mit islamischer Unterdrückung verknüpft, da einige der militanten islamischen Gruppierungen mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten oder selbst als organisierte kriminelle Gruppen agieren und Menschenhandel sowie anderen kriminellen Aktivitäten nachgehen. Diese Gruppen sind bekannt für Vergewaltigungen, Geiselnahmen und Sklavenhandel.
Eine vollständige Übersicht aller im Land wirksamen Triebkräfte finden Sie im ungekürzten, englischen Länderprofil.
4. Welche Christen sind von Verfolgung betroffen?
Ausländische Christen und Arbeitsmigranten
Christliche Gastarbeiter (die zumeist aus Subsahara-Afrika und Ägypten stammen) dürfen sich in den wenigen Kirchen treffen, die es im Westen des Landes noch gibt. Viele bleiben jedoch aus Angst den Gottesdiensten fern, weil sie Entführungen und andere Formen des Missbrauchs fürchten. Libysche Bürger dürfen diese Kirchen jedoch unter keinen Umständen besuchen. Christen aus Afrika südlich der Sahara erleiden in doppelter Hinsicht Verfolgung und Diskriminierung: aus rassistischen ebenso wie aus religiösen Gründen.
Christen anderer religiöser Herkunft (Konvertiten)
Es gibt eine sehr kleine Gruppe einheimischer, libyscher Christen. Sie sind ausschließlich Konvertiten mit muslimischem Hintergrund und halten ihren Glauben geheim. Ihnen ist es untersagt, Gottesdienste in offiziellen Kirchen zu besuchen. Das Interesse am christlichen Glauben wächst durch das Aufkommen christlicher Fernseh- und Internetangebote auf Arabisch; aber auch eine Welle öffentlicher Verhaftungen von christlichen Konvertiten sorgte für wachsendes Interesse, weil viele Libyer zuvor nicht wussten, dass es einheimische libysche Christen überhaupt gibt.
5. Wie erfahren Christen Druck und Gewalt?
Betroffene Lebensbereiche und Auftreten von Gewalt
Privatleben
Die Verbreitung des Evangeliums ist zwar nicht ausdrücklich verboten, wohl aber die „Anstiftung zur Spaltung“ und die „Beleidigung des Islam“. So sehen Christen in Libyen meist davon ab, ihren Verwandten und dem sozialen Umfeld von ihrem Glauben zu erzählen. Mit einem Muslim über den christlichen Glauben zu sprechen, könnte als Akt der Evangelisation interpretiert werden.
Familienleben
Der Religionsunterricht basiert auf islamischen Grundsätzen. Viele ausländische Christen aus dem Westen haben das Land verlassen. Die Hauptgruppe der verbleibenden Christen sind Migranten aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara und einige koptische Christen aus Ägypten. Ihre Kinder müssen, wenn sie zur Schule gehen, den Islamunterricht besuchen und sind gefährdet, Opfer von Belästigungen zu werden.
Gesellschaftliches Leben
Die Mehrheit der Libyer ist arabischer oder berberischer Abstammung. Wenn bekannt wird, dass jemand den Islam verlassen und den christlichen Glauben angenommen hat, so übt das soziale Umfeld extrem hohen Druck aus (zusätzlich zum Druck seitens der Familien und der Regierung), um zu bewirken, dass der neue Glaube widerrufen wird. Viele Christen sind Arbeitsmigranten aus Ländern südlich der Sahara, die bessere wirtschaftliche Möglichkeiten suchen. Sie werden sowohl aus religiösen als auch aus rassistischen Gründen diskriminiert.
Leben im Staat
Es bleibt ohne strafrechtliche Konsequenzen, wenn christliche Konvertiten von Familienmitgliedern angegriffen und dabei verletzt oder getötet werden. Vielmehr wird dies als eine Frage der Familienehre betrachtet. Ebenfalls straffrei bleibt es, wenn andere Christen durch extremistische Gruppen sowie durch Regierungsbeamte getötet werden – dabei sind Christen aus Subsahara-Afrika besonders gefährdet. Ausländische Christen müssen sich davor hüten, die Regierung in irgendeiner Weise zu kritisieren und dadurch zu provozieren. Selbst die wenigen registrierten Kirchen achten darauf, dass am Gebäude keine religiösen Symbole angebracht sind. Eine öffentliche Zurschaustellung christlicher Symbole würde als indirekte Form der Evangelisation verstanden werden. Dies könnte schwerwiegende Strafen durch die Behörden nach sich ziehen – oder sogar zu Massenausschreitungen und Gewaltausbrüchen führen.
Kirchliches Leben
Je nach Region können sich Migranten zum Gottesdienst in (Haus)kirchen versammeln, was jedoch mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden ist. Die Einfuhr von christlicher Literatur und Bibeln in arabischer Sprache ist nach wie vor streng untersagt. Missionarische Aktivitäten unter Muslimen sind offiziell verboten.
Beispiele für Auftreten von Gewalt
- Im Februar 2023 wurden sechs koptische Christen im Westen Libyens entführt und gefangen gehalten, und obwohl Entführungen gegen Lösegeld in Libyen keine Seltenheit sind, ist es wahrscheinlich, dass es ihr christlicher Glaube war, wodurch sie besonders gefährdet wurden.
- Im März 2023 wurden mindestens sechs libysche Christen mit muslimischem Hintergrund verhaftet. Die Behörden versuchten, sie (unter Folter) zu zwingen, ihren Glauben zu widerrufen.
- Im März 2023 wurde mindestens ein ausländischer Christ verhaftet und zwangsweise ausgewiesen, nachdem ihm Evangelisation vorgeworfen worden war.
- Im Berichtszeitraum des Weltverfolgungsindex 2024 wurden zudem Hunderte von Migranten von den libyschen Behörden willkürlich festgenommen, darunter auch Christen aus Subsahara-Afrika und Ägypten; es wird vermutet, dass zumindest mehrere von ihnen auch wegen ihres christlichen Glaubens zum Ziel der Festnahmen wurden. Seit Jahren wird aus Libyen berichtet, dass Menschenhandel, (sexueller) Missbrauch, Folter und Erpressung weitverbreitet sind. Durch ihren Glauben werden christliche Migranten besonders zur Zielscheibe von solchen Übergriffen. Dies zwingt die meisten von ihnen, ihren Glauben streng geheim zu halten.
6. Entwicklung in den letzten 5 Jahren
Jahr | Platzierung | Punktzahl |
2024 | 3 | 91 |
2023 | 5 | 88 |
2022 | 4 | 91 |
2021 | 4 | 92 |
2020 | 4 | 90 |
Der Anstieg der Gesamtpunktzahl ist vor allem auf einen Anstieg der Punktzahl für Auftreten von Gewalt zurückzuführen – von 9,1 Punkten im Vorjahr stieg der Wert auf nun 10,2 Punkte. Dies geschah unter anderem vor dem Hintergrund eines größeren Vorfalls im Mai 2023, bei dem mehrere christliche Konvertiten und ausländische Christen verhaftet wurden. Der Druck blieb mit einem extrem hohen Ausmaß stabil.
7. Sind Frauen und Männer unterschiedlich von Verfolgung betroffen?
Frauen
Frauen wird im libyschen Familienleben eine geringere Stellung als Männern zugewiesen. Dies geht auf Stammesnormen zurück, die der Scharia entsprechen. Wenn eine Frau verdächtigt wird, sich für den christlichen Glauben zu interessieren, kann ihr Hausarrest, Zwangsverheiratung oder sogar Mord drohen; auch mit sexuellen Übergriffen und sexualisierter Gewalt müssen diese Frauen rechnen, manchmal als eine Form der Bestrafung. Bei der Verfolgung dieser und anderer Straftaten stoßen Frauen auf soziale und kulturelle Hindernisse. Christliche Migrantinnen, die Libyen durchqueren, sind zudem von Entführung und Menschenhandel bedroht, insbesondere wenn sie von ihren männlichen Begleitern getrennt werden, wie beispielsweise in den Internierungslagern für Flüchtlinge.
Männer
Im Allgemeinen sind Männer in Libyen aufgrund des anhaltenden Kreislaufs von Gewalt, Gräueltaten und Straffreiheit einem hohen Risiko körperlicher Gewalt ausgesetzt. Christliche Männer müssen mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, körperlichen und seelischen Misshandlungen und der Vertreibung aus ihrem Elternhaus rechnen. Libysche Männer und Jungen werden zunehmend gezwungen, in Milizen zu kämpfen, was viele dazu veranlasst, aus ihren Heimatstädten zu fliehen, um einem solchen Schicksal zu entgehen. Auch christliche Migranten sind davon betroffen – in den Internierungslagern für Flüchtlinge werden sie dafür zwangsrekrutiert. Unter Männern, einschließlich Christen, die aus Subsahara-Afrika nach Libyen eingewandert sind, sind Zwangsarbeit und Sklaverei weitverbreitet. Ihnen kann auch die Entführung gegen Lösegeld drohen.
8. Verfolgung anderer religiöser Gruppen
Sufis sowie die nicht dem sunnitischen Islam angehörenden Ibaditen erfahren in Libyen Verfolgung in Form von gewalttätigen Angriffen durch militante Gruppen wie dem IS. Außerdem werden sie generell in der Gesellschaft diskriminiert. Zudem sind auch Atheisten und jeder, der die sunnitisch-islamischen Lehren öffentlich in Frage stellt, äußerst gefährdet.
9. Gebetsanliegen
Bitte beten Sie für Libyen:
- Beten Sie für Christen, die ihren Glauben an Jesus geheim halten müssen, weil ihnen ansonsten Verhaftung oder Versklavung drohen. Bitten Sie Jesus Christus, dass er sie mit Frieden erfüllt und ihnen ermutigende Zeichen seiner Nähe und Gunst schenkt. Beten Sie auch, dass sie trotz der Schwierigkeiten kreative Möglichkeiten finden, in Gemeinschaft mit anderen Christen zu kommen.
- Beten Sie für inhaftierte Christen, dass Jesus Christus sie schützt und befreit.
- Bitten Sie Jesus Christus um Frieden und Stabilität in Libyen und um eine stabile Regierung, die zum Wohl des ganzen Landes handelt.
- Beten Sie um mehr Offenheit und Freiheit für die Christen im Land.